Arve Henriksen Harmen Fraanje Touch of Time
Arve Henriksen & Harmen Fraanje: Touch of Time – Wenn die Zeit den Atem anhält
- Label: ECM Records – ECM 2794
- Format: CD, Album, Stream, Vinyl,
- Country: Germany, Italia / Schweiz Lugano
- Released: Jan 26, 2024
- Genre: Jazz, Nordic Jazz
- Style: Contemporary Jazz, Nordic Jazz
- Amazon Link: Arve Henriksen Harmen Fraanje Touch of Time
Manchmal gibt es diese Momente, da setzt man sich in den Hörsessel, drückt auf Play und merkt nach den ersten Takten: Okay, das hier ist gerade kein Hintergrundgeplänkel für nebenher. Das hier ist ernst. Oder besser gesagt: Das hier ist pure Magie, eingefangen auf einem Tonträger. Die Rede ist von „Touch of Time“, dem aktuellen Geniestreich von Arve Henriksen und dem niederländischen Pianisten Harmen Fraanje.
Die Protagonisten der Stille: Arve & Harmen
Arve Henriksen ist ja ohnehin ein Phänomen in der Jazzwelt. Wer ihn einmal gehört hat, vergisst diesen Klang nicht mehr. Seine Trompete klingt eigentlich gar nicht nach Blech, nach Ventil oder nach dem typischen Strahl. Er haucht, er flüstert, er lässt das Instrument wie eine japanische Shakuhachi-Flöte oder eine klagende menschliche Stimme erscheinen. Es ist eine fast schon spirituelle Erfahrung, wie er den Ton formt. An seiner Seite agiert Harmen Fraanje am Flügel. Fraanje spielt nicht einfach nur Noten oder Akkordfolgen. Er setzt Punkte, zeichnet feine Linien in den Raum und wartet oft genau den richtigen Bruchteil einer Sekunde ab, bevor er den nächsten Anschlag setzt. Er rollt Henriksen keinen Teppich aus, er baut ihm eine ganze Kathedrale aus Klang, in der sich die Trompete völlig frei bewegen kann. Die Chemie zwischen den beiden ist blindes Verständnis – hier wird nicht improvisiert, hier wird gemeinsam geatmet.
Das Heiligtum der Präzision: Das Studio in Lugano
Aufgenommen wurde dieses klangliche Kleinod im Auditorio Stelio Molo SRG SSR in Lugano. Wer sich in der audiophilen Szene auskennt, weiß, dass dieser Ort für ECM-Produktionen fast schon sakralen Status genießt. Die Akustik dort ist gnadenlos ehrlich, weitläufig und besitzt eine natürliche Wärme, die man künstlich niemals so hinbekommen würde.
Verantwortlich für diesen fast schon unheimlich realen Sound ist natürlich der Hausherr höchstpersönlich: Manfred Eicher. Als Produzent hat er wieder einmal bewiesen, dass er ein absolutes Gehör für das Wesentliche hat. Eicher nimmt nicht nur Musik auf, er nimmt den Raum zwischen den Noten auf. Er lässt die Stille mitschwingen. Unterstützt wurde er dabei vom Toningenieur Stefano Amerio, einem absoluten Meister seines Fachs, der es versteht, die Dynamikspitzen so einzufangen, dass sie den Hörer direkt ins Herz treffen.
Die Wahrheit aus den Wandlern: ATC in Lugano
Wenn man sich fragt, warum das im Studio schon so perfekt kontrolliert und doch so lebendig klingt: In Lugano verlässt man sich seit jeher auf das Beste, was die Studiotechnik hergibt. Als Abhörmonitore kommen dort traditionell Lautsprecher von ATC (Acoustic Transducer Company) zum Einsatz. Meistens sind es die gewaltigen SCM150ASL Pro.
Diese Monitore sind berühmt für ihre unbestechliche Mittenwiedergabe durch die legendäre ATC-Kalotte. Sie verschleiern nichts, sie fügen nichts hinzu. Wenn Henriksen dort im Auditorio ins Mikrofon haucht, hört man das auf den ATC-Monitoren so, als stünde er direkt vor einem. Diese Präzision ist es, die später auf einer guten heimischen Kette diesen „Gänsehaut-Effekt“ auslöst.
Fazit
Ich entpuppe mich mit Riesenschritten zu einem Fan von Arve Henriksen und seinem Verständnis zur Musik. Mal abgesehen davon, dass seine Musik in mir verschiedene, aber meistens sehr schöne und entspannende Gefühle auslöst, sind die Aufnahmen natürlich ECM-typisch auf einem Niveau, das man heute nur noch selten findet. So auch auf diesem Album. Sehr atmosphärisch und unfassbar räumlich. Aber man muss ehrlich sein: Das Ganze entfaltet sich natürlich nur dann vollends, wenn es die heimische Anlage zulässt. Wer hier mit einer Kette hört, die Bühne und Tiefe staffeln kann, wird mit einer Räumlichkeit belohnt, die die Zimmerwände einfach verschwinden lässt. Man sitzt nicht mehr in seinem Wohnzimmer, man sitzt in Lugano im Studio.
Von mir aus jedenfalls ein fettes Dankeschön an alle Beteiligten. Erneut ein Album, das ich sicherlich mehr als 10x hören werde – und wahrscheinlich noch viel, viel öfter, wenn der Abend mal wieder nach echter Tiefe verlangt.
Titelliste (Touch of Time)
- Melancholia (03:58)
Ein sanfter, fast fragiler Einstieg, der die melancholische Grundstimmung des Albums sofort festlegt. - The Beauty of Sundays (03:29)
Helle Klavierakzente treffen auf einen sehr luftigen Trompetenton. Es wirkt friedlich und weit. - Redream (08:45)
Das Herzstück und längste Stück des Albums. Hier entfaltet sich eine fast hypnotische Tiefe, in der man sich komplett verlieren kann. - The Dark Light (04:00)
Ein wunderbares Spiel mit Schatten. Die Melodien wirken erst düster, öffnen sich dann aber in hellere Register. - What All This Is (03:51)
Ein sehr reduzierter Dialog, bei dem jeder Anschlag von Harmen Fraanje genau abgewogen wirkt. - Mirror Images (02:48)
Kurze, reflektierende Motive, die zwischen den beiden Instrumenten hin- und hergeworfen werden. - Touch of Time (03:18)
Der Titeltrack ist ein kurzes Innehalten – fast wie ein Destillat des gesamten Albumkonzepts. - Winter Haze (01:10)
Eine ganz kurze, neblige Skizze. Ein flüchtiger Moment, der fast so schnell verschwindet, wie er gekommen ist. - Red and Black (02:39)
Hier wird die Klangfarbe etwas kräftiger, die Kontraste zwischen den tiefen Klaviernoten und Henriksens Flüsterton sind präsenter. - Passing on the Past (04:13)
Ein versöhnlicher Abschluss. Es klingt wie ein langsames Abschiednehmen, sehr ruhig und geerdet.
Quellen & weiterführende Links
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Offizielle Albumseite: ECM Records – Touch of Time
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Studio-Infos: Auditorio Stelio Molo RSI, Lugano
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Technik-Referenz: ATC Loudspeakers – SCM150ASL Pro
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Künstler-Profile: Arve Henriksen Official | Harmen Fraanje Official
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