Stephan Micus – The Garden of Mirrors

Stephan Micus – The Garden of Mirrors

Stephan Micus – The Garden of Mirrors (ECM 1632)

Am ersten und zweiten Weihnachtstag bin ich natürlich damit beschäftigt zu arbeiten. Als eine One Mann Show ist es nicht immer leicht, vor allem dann nicht, wenn das alles so umfangreich ist, wie ich das hier betreibe. Nun, am zweiten Tag des Weihnachten liege ich vor meiner Anlage und entspanne mit Music etwas. Natürlich höre ich mir eine Scheibe von ECM an. Das hier vorgestellte Album. Ihr wisst es mittlerweile: Ich liebe die Liebe zum Detail von ECM und die damit einhergehende Klangqualität. Das hier besprochene Album ist wieder ein Paradebeispiel dafür, wie Musik sich anzuhören hat. Das Album selbst strotzt vor Kreativität und zeigt wieder einmal, zu was der Herr Micus fähig ist. Fantastisch und eine dicke Empfehlung!

Handarbeit statt Fließband-Sound

Wer meine Berichte liest, weiß: Ich stehe auf Geräte und Aufnahmen mit Charakter. Stephan Micus ist so ein Typ. Der Mann reist um die Welt, lernt Instrumente von der Pike auf und spielt sie dann alle selbst ein. Keine Samples, kein Plastik – das ist echte, haptische Musikkultur. Auf „The Garden of Mirrors“ (aufgenommen zwischen ’95 und ’96) lässt er Kulturen kollidieren, die eigentlich nie zusammenfinden dürften. Besonders der zweite Titel, „Passing Cloud“, hat es mir angetan. Hier treffen Steel Drums auf die afrikanische Sinding und die japanische Shakuhachi. Das ist kein Weltmusik-Kitsch, das ist eine klangliche Wucht. Die Steel Drums kommen hier nicht karibisch-fröhlich, sondern fast schon mystisch und perkussiv rüber, während die Sinding-Harfe ein Bassfundament in den Raum zimmert, das zeigt, was eure Tieftöner wirklich können.

Das Labor: MCM Studios

Micus ist ein Perfektionist, ein Besessener im besten Sinne. Er schichtet im Overdub-Verfahren Spur um Spur übereinander, bis dieser dichte, nebelartige Sound entsteht. Aufgenommen wurde das Ganze in den MCM Studios. Wer ECM kennt, weiß, dass Manfred Eicher keine Kompromisse macht. Um diese feinen Nuancen – das Atmen in der Flöte, das Schwingen der Saiten – überhaupt kontrollieren zu können, braucht es Präzisionswerkzeuge. In dieser Ära wurde im Monitoring-Bereich oft auf die gnadenlose Ehrlichkeit von Genelec-Aktivmonitoren oder die legendären B&W (Bowers & Wilkins) B&W Matrix 801 Serie 3 gesetzt. Das hört man: Jedes Detail ist da, jedes Instrument hat seinen festen Platz im Raum. Das ist HiFi, wie es sein muss – man schließt die Augen und die Anlage verschwindet einfach.
Das Mackern-Fazit: Wenn Technik zur Emotion wird

Leute, ich sag’s euch, wie es ist: „The Garden of Mirrors“ ist nicht einfach nur eine CD, die man nebenher laufen lässt. Das hier ist ein Werkzeug für die Seele und gleichzeitig ein Härtetest für jede Kette. Wer Micus kennt, weiß, dass er kein Freund von Effekthascherei ist. Alles, was ihr hier hört, ist pure Handarbeit. Wenn er die Sinding zupft, dann spürst du das Holz, die Spannung der Saiten und den massiven Körper des Instruments. Das ist kein digitaler Einheitsbrei, das ist greifbare Physik.

Das Besondere an dieser Scheibe ist die unbändige Kreativität, mit der Herr Micus zu Werke geht. Dass er eine japanische Shakuhachi über Steel Drums legt, klingt auf dem Papier vielleicht gewagt, aber in der Realität der MCM Studios wird daraus eine klangliche Einheit, die einen schlichtweg wegbläst. Die Präzision, mit der diese Aufnahmen in den Kasten gebracht wurden, ist ein Paradebeispiel für die ECM-Philosophie. Man merkt an jeder Ecke, dass hier über High-End-Monitore wie die großen Genelecs oder B&W-Boliden abgehört wurde. Jedes Ausklingen einer Saite, jeder Lufthauch in der Flöte wird mit einer Detailtreue abgebildet, die einem die Tränen in die Augen treibt.

Für mich als One-Man-Show, der das ganze Jahr über an Geräten schraubt, Pakete schleppt und Berichte tippt, ist dieser Moment vor der Anlage am zweiten Weihnachtstag heilig. Wenn die Nadel in die Rille gleitet oder der Laser die ersten Samples liest, dann zählt nur noch das hier. Diese Scheibe zeigt mir wieder, warum ich diesen ganzen Aufwand auf Mackern.de überhaupt betreibe: Weil es um diesen einen Moment geht, in dem die Technik verschwindet und nur noch die Musik im Raum steht. Mein Urteil: Das Album ist eine dicke, fette Empfehlung für jeden, der seine Anlage nicht nur zum Krachmachen hat, sondern um Nuancen zu entdecken. Wer Micus hier nicht hört, hat HiFi nicht verstanden. Es ist kreativ, es ist handwerklich auf dem allerhöchsten Niveau und klanglich spielt es in der absoluten Champions Liga.

Legt euch das Ding zu, setzt euch in den Sweetspot und lasst die Welt draußen einfach mal Welt sein. Fantastisch!

Die Reise durch den „Spiegelgarten“

Part 1: Earth (06:16) Der Name ist Programm. Ein extrem tiefer, fast schon urzeitlicher Einstieg. Die afrikanische Bolombatto-Harfe gibt hier den Ton an – es klingt nach trockenem Boden, nach Wurzeln und einer unheimlichen Ruhe. Ein ritueller Beginn, der einen sofort erdet.

Part 2: Passing Cloud (05:07) Hier wird es luftig. Die japanische Bambusflöte (Shakuhachi) zieht einsame Kreise über einem sanften Rhythmus aus Steel Drums. Man hat das Bild einer Wolke vor Augen, die ganz langsam über eine einsame Berglandschaft zieht. Absolut zeitlos.

Part 3: Violeta (05:59) Hier rückt die menschliche Stimme ins Zentrum. Micus singt keine Texte, sondern nutzt seine Stimme als reines Klangfarben-Instrument. Es hat etwas Sakrales, fast wie ein Gebet in einer verlassenen Kathedrale. Sehr emotional und tiefgreifend.

Part 4: Flowers in the Rock (06:18) Ein spannender Kontrast. Die Sinding-Harfe liefert ein rhythmisches, hartes Gerüst, durch das sich die zarten Melodien der Flöte wie kleine Pflanzen ihren Weg ans Licht bahnen. Ein sehr lebendiges, organisches Stück.

Part 5: Night Circle (06:40) Das ist der Moment der absoluten Stille. Die Klänge sind hier sehr reduziert, fast wie ein einsamer Herzschlag in der Dunkelheit. Es ist Musik, die einen dazu zwingt, den Atem anzuhalten und einfach nur zuzuhören.

Part 6: Words of Truth (05:45) Ein sehr meditatives und fast schon hypnotisches Stück. Die Saiteninstrumente weben hier ein dichtes Geflecht aus sich wiederholenden Mustern, die einen ganz tief in die eigene Gedankenwelt ziehen.

Part 7: The Garden of Mirrors (08:34) Das große Finale und der längste Titel des Albums. Hier fließen die verschiedenen kulturellen Einflüsse zusammen. Es ist wie ein Blick in einen Spiegel, in dem man all die vorherigen Stationen noch einmal vorbeiziehen sieht – ein würdiger, sehr majestätischer Abschluss.