Carolin Widmann  Simon Lepper – Phantasy Of Spring

Carolin Widmann Simon Lepper – Phantasy Of Spring

Carolin Widmann / Simon Lepper – Phantasy Of Spring Hörbericht:

Overall Rating: ★★★★★ (5/5)

  • Label: ECM Records – ECM New Series 2113, ECM Records – 476 3310,
  • Format: CD, Album, Stereo, LP, Vinyl, Streaming
  • Land: Deutschland
  • Veröffentlicht: 25. September 2009
  • Genre: Klassik
  • Stil: Modern, Zeitgenössisch, Kammermusik
  • Amazon Link: Widmann / Lepper 

Das Album „Phantasy of Spring“ von Carolin Widmann (Violine) und Simon Lepper (Klavier) wurde 2022 bei ECM Records veröffentlicht und stellt eine faszinierende Zusammenstellung von Kompositionen dar, die sich zwischen den Grenzen der klassischen Moderne und der Avantgarde bewegen. Unter der Regie von Manfred Eicher wurde das Album im Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano, Schweiz, aufgenommen, was eine optimale Akustik und Atmosphäre für die dichte und vielschichtige Musik bietet.

Die Auswahl der Werke vereint Komponisten wie Morton Feldman, Bernd Alois Zimmermann, Arnold Schönbergund Iannis Xenakis, deren Stücke eine große stilistische Bandbreite abdecken. Im Mittelpunkt stehen klangliche Feinheiten und der spannende Dialog zwischen Geige und Klavier, die sich in unterschiedlicher Weise zu intimen und expressiven Klangwelten verbinden.

Überblick über die Werke

  1. Arnold Schönberg – Phantasy for Violin with Piano Accompaniment, Op. 47:
    • Dieses zentrale Werk des Albums entstand 1949 und ist eines der letzten Kompositionen Schönbergs. Die Phantasy ist bekannt für ihre atonale Struktur, die auf Schönbergs Zwölftonmusik basiert, und für den komplexen Dialog zwischen Violine und Klavier. Sie ist formal ungewöhnlich, da das Klavier nicht nur begleitet, sondern eine gleichwertige Rolle im musikalischen Geschehen einnimmt. Carolin Widmann und Simon Lepper verstehen es, die scharfen Kontraste und spannungsgeladenen Passagen der Phantasy mit Präzision und Ausdruckskraft zum Leben zu erwecken.
  2. Bernd Alois Zimmermann – Sonata for Violin and Piano (1950/1951):
    • Zimmermanns Sonate für Violine und Klavier ist ein Schlüsselwerk der Nachkriegsavantgarde. Sie zeigt den Einfluss von Jazz, Barock und der Zwölftonmusik auf Zimmermanns unverwechselbaren Stil. Die Sonate ist geprägt von rhythmischer Vielfalt und der dynamischen Wechselwirkung zwischen den beiden Instrumenten, die von den Musikern in ihrer Interpretation eindrucksvoll herausgearbeitet wird. Widmann und Lepper schaffen es, die teilweise ruppigen, aber auch lyrischen Momente der Sonate miteinander zu verbinden und deren strukturelle Tiefe hörbar zu machen.
  3. Morton Feldman – Spring of Chosroes (1977):
    • Feldman ist bekannt für seine meditativen und minimalistischen Kompositionen. Spring of Chosroes ist ein Werk, das durch seine langsam sich entfaltende Struktur und subtile Dynamik besticht. Es ist von einer schwebenden Atmosphäre geprägt, in der die Klänge wie in Zeitlupe zu fließen scheinen. Die Komposition fordert von den Interpreten eine hohe Sensibilität für klangliche Nuancen und eine präzise Kontrolle des Klangs. Widmanns Spiel bringt die zerbrechliche, fragile Schönheit von Feldmans Werk auf eindrucksvolle Weise zur Geltung, während Lepper die harmonischen Schattierungen am Klavier feinfühlig begleitet.
  4. Iannis Xenakis – Dikhthas (1979):
    • Dikhthas von Xenakis ist eine radikale und energiereiche Komposition, die die expressive und klangliche Bandbreite der Violine und des Klaviers auslotet. Xenakis, der oft als Avantgarde-Pionier gilt, integriert in dieses Stück mathematische Prinzipien und klangliche Extreme, die von dynamischen, perkussiven Momenten bis hin zu zerbrechlichen, leisen Passagen reichen. Die Interpreten müssen in diesem Werk eine Balance zwischen aggressiver Energie und klanglicher Feinsinnigkeit finden. Carolin Widmann gelingt es, die rasanten Bewegungen der Violine mit großer Präzision darzustellen, während Simon Lepper den dramatischen Dialog am Klavier unterstützt.

Musikalische Zusammenarbeit und Interpretation

Die musikalische Zusammenarbeit zwischen Carolin Widmann und Simon Lepper auf diesem Album zeugt von einer tiefen künstlerischen Übereinstimmung und einem gemeinsamen Verständnis für die komplexen und herausfordernden Werke der Moderne und Avantgarde. Widmann, die als eine der vielseitigsten Geigerinnen ihrer Generation gilt, bringt ihre Erfahrung und ihre Fähigkeit, emotionale Tiefe mit technischer Virtuosität zu verbinden, in jedes Stück ein. Ihr Spiel ist stets durchdrungen von einer klaren Artikulation und einer feinen Kontrolle des Klangs, was besonders bei den subtilen Nuancen von Feldmans Spring of Chosroes oder den explosiven Ausbrüchen in Xenakis‘ Dikhthas hörbar wird.

Simon Lepper, ein renommierter Pianist und Kammermusiker, begleitet Widmann mit einem sensiblen Gespür für die musikalische Architektur der Werke. Er setzt die teils komplexen klanglichen Strukturen und rhythmischen Herausforderungen am Klavier meisterhaft um und bildet damit ein perfektes Gegenüber zu Widmanns Violinspiel.

Kritische Rezeption und Klangqualität

Das Album wurde von der Kritik positiv aufgenommen und besonders für seine künstlerische Tiefe und die makellose Interpretation der schwierigen Werke gelobt. Die Auswahl der Kompositionen hebt die stilistische Vielseitigkeit der Interpreten hervor und zeigt ihre Fähigkeit, sowohl die spröden und sperrigen als auch die lyrischen und meditativen Aspekte der Stücke auszuloten.

Besonders hervorgehoben wurde die Fähigkeit der beiden Musiker, den Hörer in die unterschiedlichen Klangwelten der einzelnen Komponisten zu führen, sei es in die zerbrechliche, schwebende Welt Feldmans oder in die energetische Klanglandschaft Xenakis‘. Diese Vielschichtigkeit der Interpretation wird durch die hohe Aufnahmequalität von ECM Records unterstützt, die dafür bekannt ist, den Raumklang und die akustische Tiefe optimal einzufangen. So werden die klanglichen Feinheiten der Instrumente perfekt in Szene gesetzt und erlauben es dem Hörer, sich ganz in die musikalische Reise zu vertiefen.

Fazit

„Phantasy of Spring“ ist eine Reise durch die faszinierende Welt der modernen und zeitgenössischen Kammermusik. Die Interpretationen von Carolin Widmann und Simon Lepper zeigen eine tiefe Verbundenheit zu den ausgewählten Werken und bieten ein intensives Hörerlebnis, das sowohl emotionale als auch intellektuelle Ansprüche erfüllt. Das Album ist eine Empfehlung für alle, die sich für die Ausdruckskraft der modernen Violinmusik interessieren und die die Herausforderung und Schönheit der Musik von Schönberg, Feldman, Zimmermann und Xenakis zu schätzen wissen.

Das Album „Phantasy of Spring“ von Carolin Widmann und Simon Lepper enthält eine anspruchsvolle Auswahl an Werken, die eine Reise durch die musikalische Avantgarde des 20. Jahrhunderts darstellen. Jedes der Stücke bringt unterschiedliche ästhetische Ansätze und Techniken mit sich, die das Duo in ihren Interpretationen meisterhaft umsetzt. Hier ist eine detaillierte Beschreibung der Trackliste und der einzelnen Werke:

1. Morton Feldman – Spring of Chosroes (14:05)

  • Beschreibung: Dieses Werk von Morton Feldman ist für seine minimalistische und meditative Struktur bekannt. Der Titel bezieht sich auf einen Perserkönig der Spätantike und vermittelt eine Atmosphäre, die zeitlos und entrückt wirkt. Spring of Chosroes entfaltet sich langsam, mit sparsamen Noten und langer Nachhallzeit, die den Eindruck eines schwebenden Klangraums erzeugen. Die Musik ist zart und zerbrechlich, mit weit auseinanderliegenden Noten, die eine Klanglandschaft malen. Carolin Widmann und Simon Lepper bringen eine große Sensibilität in ihre Interpretation ein, wobei die Violine den Raum durch ihre delikaten Klänge zu durchschneiden scheint, während das Klavier eine subtile harmonische Grundlage schafft.

Bernd Alois Zimmermann – Sonate für Violine und Klavier (1950/51)

  • Diese dreisätzige Sonate ist ein Werk der Nachkriegsavantgarde und vereint verschiedene Einflüsse, darunter Jazz und Barock. Sie ist durch ihre expressive, dichte und rhythmisch komplexe Struktur gekennzeichnet, die einen ständigen Dialog zwischen Violine und Klavier fordert.
  • 2. I Sonata (4:36):
    • Der erste Satz ist rhythmisch komplex und weist klare Bezüge zur klassischen Sonatenform auf. Die Musik bewegt sich in dichten, energischen Linien, wobei die Violine oft in ausdrucksstarken Passagen brilliert, die sich über das komplexe harmonische Geflecht des Klaviers erheben. Die Musiker erzeugen eine dynamische Spannung, die von abrupten, kontrastreichen Wechseln geprägt ist.
  • 3. II Fantasia (5:39):
    • Im zweiten Satz, der Fantasia, werden die klanglichen Möglichkeiten beider Instrumente auf poetische Weise ausgelotet. Der Satz zeichnet sich durch eine freie Form und eine träumerische Atmosphäre aus. Die Violine bringt eine lyrische Melodieführung zum Ausdruck, die mit den tiefen, manchmal geheimnisvollen Akkorden des Klaviers verschmilzt. Die Struktur ist weniger formell als im ersten Satz und vermittelt ein Gefühl von spontaner Improvisation.
  • 4. III Rondo (4:32):
    • Das Rondo ist der dynamische und rhythmisch prägnante Abschluss der Sonate. Hier kommt Zimmermanns Vorliebe für rhythmische Energie und komplexe Strukturen besonders zur Geltung. Die wechselnden Tempi und die markante Themenführung fordern eine exakte Abstimmung zwischen Violine und Klavier, die Widmann und Lepper mit Präzision und Ausdruckskraft interpretieren. Die Musik endet in einem fulminanten Finale, das den dramatischen Charakter des gesamten Werks unterstreicht.

5. Arnold Schönberg – Phantasy for Violin with Piano Accompaniment, Op. 47 (10:01)

  • Beschreibung: Dieses Spätwerk Schönbergs wurde 1949 geschrieben und zeigt die Essenz seiner Zwölftonkompositionsweise. In der Phantasy verschmilzt Schönberg die traditionelle Struktur mit modernen harmonischen und melodischen Ansätzen. Das Werk ist technisch anspruchsvoll und erfordert eine enge Interaktion zwischen Violine und Klavier. Die Violine führt oft lyrische, expressiv-kantige Linien, während das Klavier harmonische Kontrapunkte setzt. Widmann und Lepper gelingt es, die emotionale Intensität und den strukturellen Reichtum dieses komplexen Stücks in einer konzentrierten, intensiven Darbietung zum Ausdruck zu bringen.

6. Iannis Xenakis – Dikhthas (12:50)

  • Beschreibung: Dikhthas, geschrieben 1979, ist ein fesselndes Werk, das Xenakis‘ charakteristischen, kraftvollen Stil repräsentiert. Es kombiniert mathematische Strukturprinzipien mit roher, expressiver Energie. Das Stück stellt hohe Anforderungen an die Interpreten, da es von der Violine eine extreme dynamische und technische Vielfalt verlangt, während das Klavier kraftvolle, oft percussive Akzente setzt. Die Musik ist geprägt von intensiven Kontrasten zwischen dichten, lärmenden Klangflächen und flüchtigen, fast ätherischen Passagen. Carolin Widmann bringt die eruptiven, unvorhersehbaren Bewegungen der Violine mit Präzision und Ausdruck zur Geltung, während Simon Lepper den rhythmischen Grundpuls und die kontrapunktischen Schichten am Klavier meisterhaft umsetzt.

Zusammenfassung

Das Album Phantasy of Spring bietet eine außergewöhnliche Reise durch verschiedene Strömungen der modernen Musik, von den schwebenden Klangwelten Feldmans bis zu den energiegeladenen Strukturen Xenakis‘. Die Verbindung von Komponisten wie Schönberg und Zimmermann schafft eine Brücke zwischen der klassischen Moderne und der radikalen Avantgarde. Carolin Widmann und Simon Lepper überzeugen durch ihre differenzierte, technisch brillante und musikalisch tiefgründige Interpretation, die jedem Werk seine eigene Klangwelt und Ausdruckskraft verleiht.