Lars Danielsson Liberetto II
Lars Danielsson – Liberetto II: Wenn die Seele mitswingt
- Album: Liberetto II
- Label: ACT Music (ACT 9571-2)
- Veröffentlichung: 2014
- Format: CD, Vinyl, Album, Stream
- Studio: Tia Dia Studios (Mölnlycke) & Rainbow Studio (Oslo)
- Mix & Recording: Bo Savik & Jan Erik Kongshaug
- Gerne: Noric Jazz / Kamemrmusik
- Amazon Link: Lars Danielsson – Liberetto II
Dass ich bei ACT Music regelmäßig schwach werde, dürfte für meine Stammleser kaum noch als Breaking News durchgehen. Siggi Loch und seine Truppe liefern einfach ab – musikalisch erste Sahne und klanglich so unverschämt gut, dass man die Alben eigentlich blind (oder besser: taub) kaufen könnte. Neulich allerdings haben sie mich kalt erwischt. Ich saß gerade im „Schreibtunnel“ und quälte mich durch einen Artikel über das Minenfeld „Audiophile Netzwerk-Switches“ (ihr wisst schon: Voodoo, Wahrheit und die ewigen Grabenkämpfe). Zur Entspannung und leichten Untermalung legte ich Lars Danielssons „Liberetto II“ auf. Dachte ich zumindest.
Von wegen Untermalung.
Nach zwei Tracks war das Thema Netzwerk-Voodoo komplett vergessen. Die Aufnahme hat mich nicht nur abgeholt, sondern regelrecht in den Sessel gedrückt. Statt über Datenpakete zu philosophieren, ließ ich die Tastatur ruhen, lehnte mich zurück und musste einfach nur zuhören.
Wer zaubert da eigentlich?
Danielsson hat hier eine Truppe um sich geschart, bei der einem schwindelig wird. Da ist natürlich der Meister selbst am Bass und Cello – dieser Mann spielt keine Noten, der erzählt Geschichten. Aber die Magie entsteht im Zusammenspiel: Der armenische Pianist Tigran Hamasyan bringt eine rhythmische Finesse mit, die fast schon unheimlich ist. Dazu gesellt sich John Parricelli an der Gitarre, der genau weiß, wann er sich zurücknehmen muss, um Raum zu schaffen. Und am Schlagzeug? Kein Geringerer als Magnus Öström.
Wer e.s.t. kennt, weiß, dass Öströms Besenarbeit und sein Drive das rhythmische Rückgrat jeder Melancholie sind. Veredelt wird das Ganze teilweise noch durch Mathias Eick an der Trompete. Das ist keine Jam-Session, das ist fast schon telepathische Kommunikation.
Ein Blick in den Maschinenraum: Warum das so klingt
Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, kurz ein Wort zur Technik, denn dieser Sound ist kein Zufall. Das Album wurde im Rainbow Studio in Oslo von keinem Geringeren als dem verstorbenen Großmeister Jan Erik Kongshaug gemischt.
Wer sich fragt, warum Tigran Hamasyans Piano so perlend, schnell und attackreich klingt: Kongshaug war bekannt dafür, fast religiös auf DPA (ehemals Brüel & Kjær) 4011 Mikrofone zu setzen. Die sind gnadenlos impulstreu. Abgehört wurde das Ganze über die legendären Dynaudio Acoustics M4 Main-Monitore. Da wird nichts geschönt. Und dieser tiefe, nordische Hall, in dem die Instrumente schweben? Das ist die hohe Kunst des Lexicon 960L, dessen Algorithmen hier perfekt mit dem echten Raumklang verschmelzen. Hier trifft technisches High-End-Equipment auf analoge Goldohren.
Die unbequeme Wahrheit für „High-Ender“ welche sich gerne von ihren Lautsprechern anschreien lassen
Und genau an dieser Stelle möchte ich eine Vermutung äußern, was einer der Gründe sein könnte, warum selbst viele selbsternannte „High Ender“ mit so einer Art von Musik nichts anfangen können. Brüll-Horn-Kisten sind einfach nicht dazu in der Lage, die Holographie und die Tiefe solcher Aufnahmen herauszuarbeiten! Oder auch Lautsprecher deren Dasein damit gerechtfertigt wird, laut und zu stark vordergründig zu spielen. Eigentlich alle arten von Lautsprecher die nur eines können: Lautstärke!
Ja, solche Lautsprecher haben Dynamik. Ja, es knallt. Aber diese feinen Gespinste, die Jan Erik Kongshaug da im Studio gebaut hat, diese dreidimensionale Staffelung im Raum, das „Atmen“ der Aufnahme – das geht in der aggressiven Direktheit vieler Brüllwürfel einfach unter. Wer nur auf „In-Your-Face“ optimiert, verpasst die Seele dieser Aufnahme. Dafür braucht es eine Kette, die auflöst, nicht eine, die anschreit aber wenn es muss und soll, es dennoch macht.
Fazit
Wie auch immer ihr es dreht und wendet: Ein Album, das ein absolutes Highlight ist und in keiner gut sortierten Sammlung fehlen darf. „Liberetto II“ ist für mich der endgültige Beweis, dass audiophile Referenzqualität und tiefe musikalische Substanz keine Gegensätze sind.
Lars Danielsson und seine Mitstreiter schaffen hier den seltenen Spagat: Sie liefern Musik, die komplex genug ist, um Jazzer glücklich zu machen, aber so unfassbar melodisch und „griffig“, dass sie einen direkt ins Herz trifft. Es ist Kammermusik mit Pop-Appeal, nordische Melancholie mit rhythmischem Feuer – eine Mischung, die man so homogen nur ganz selten findet.
Für uns Audio-Nerds ist die Scheibe aber noch mehr: Sie ist ein gnadenloses Werkzeug. Sie trennt die Spreu vom Weizen. Wer wissen will, ob seine Kette wirklich in der Lage ist, Räume glaubhaft abzubilden, feinsten dynamischen Schattierungen zu folgen und Instrumente mit Körper und Schmelz darzustellen, der legt dieses Album auf. Wenn es bei euch nur „klingt“, aber nicht „lebt“, wenn Tigrans Piano nicht perlend im Raum steht, sondern am Lautsprecher klebt – dann wisst ihr, dass ihr noch Hausaufgaben zu machen habt (oder vielleicht doch mal über den Tellerrand eurer Lautsprecher-Konzepte schauen solltet).
Eine Scheibe zum Testen, zum Genießen, zum Runterkommen und zum Staunen. Ganz großes Kino für die Ohren und Balsam für die gestresste High-Ender-Seele.
Die Tracks: Ein auditiver Rundgang für Goldohren
Damit ihr wisst, worauf ihr achten solltet aber nicht müsst. Eine musikalische Reise
- Grace (3:05) Der Opener ist pure Emotion. Eine melancholische Hymne, die sich langsam und bedächtig aufbaut. Mathias Eicks Trompete singt hier eine Melodie, die sofort unter die Haut geht – ein perfekter, fast schon spiritueller Einstieg.
- Passacaglia (4:25) Lars Danielsson zitiert hier barocke Formen, verwebt sie aber mit einem unwiderstehlichen, modernen Groove. Das Cello und der Bass verschmelzen zu einer warmen, holzigen Einheit, die das Fundament für ein wunderbar fließendes Stück bildet.
- Miniature (5:01) Ein zartes Zwischenspiel, in dem Tigran Hamasyans Piano im Mittelpunkt steht. Die Töne perlen leicht und luftig, fast wie Regentropfen. Es ist ein Stück voller Freiraum, das zum Träumen einlädt.
- Africa (5:45) Hier übernimmt die Energie. Magnus Öström zaubert einen komplexen, treibenden Beat, der das Stück nach vorne peitscht. Es ist rhythmisch vertrackt, aber voller Lebensfreude und Dynamik – ein echter Weckruf mitten im Album.
- I Tima (4:26) Klangmalerei par excellence. Gitarre und Piano weben einen dichten, verträumten Teppich. Das Stück wirkt wie eine Erzählung ohne Worte, sehr lyrisch und mit einer tiefen inneren Ruhe.
- II Blå (5:50) „Blau“ wie die nordische Nacht. Das Stück verkörpert diese typische skandinavische Weite und kühle Melancholie. Es ist langsam, getragen und lässt jedem Ton unglaublich viel Zeit, um sich zu entfalten.
- III Violet (3:02) Hier brechen Tigrans armenische Wurzeln durch. Die Rhythmik ist kantiger, die Melodiebögen orientalischer gefärbt. Ein spannendes Wechselspiel zwischen Jazz und Folklore, das intellektuell fordert und emotional packt.
- Swedish Song (6:40) Eine wunderschöne schwedische Volksweise im Jazz-Gewand. Es ist tänzerisch, fast volkstümlich, aber mit einer unglaublichen Eleganz gespielt. Ein Stück, das gute Laune macht und bei dem man unweigerlich mitwippen muss.
- Eilat (4:25) Hier trifft der Norden auf den Orient. Orientalische Skalen jagen über einen treibenden Jazz-Beat. Das Stück hat Feuer und Leidenschaft, es ist wilder und ungestümer als der Rest des Albums.
- View From The Apple Tree (2:30) Ein lyrischer Ruhepol. Sanft, leise und introspektiv. Es wirkt wie ein kurzer Moment der Besinnung an einem friedlichen Ort. Die Musik wird hier ganz intim und zerbrechlich.
- The Truth (3:50) Ein Stück voller melodischer Klarheit und Fokus. Es wirkt aufgeräumt und direkt, ohne Schnörkel. Die Melodie steht im Vordergrund und wird von der Band behutsam getragen. Wunderschön schlicht.
- Beautiful Darkness (3:26) Der Titel ist Programm. Ein atmosphärischer Ausklang, der die dunklen, aber wohligen Seiten der Nacht beschreibt. Ruhig, tiefgründig und ein perfekter Abschluss, der einen in Stille zurücklässt.
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