Lars Danielsson Paolo Fresu Summerwind
Sommerwind im Hörraum: Lars Danielsson & Paolo Fresu – Ein audiophiles Meisterwerk
- Label: ACT 9871-2
- Format: CD, Album, Vinyl, Stream
- Studio: Nilento Studio
- Veröffentlicht: 28. Sept. 2018
- Genre: Jazz
- Stil: Contemporary Jazz
- Amazon Link: Lars Danielsson Paolo Fresu Summerwind
Heute war der Rainer – mein treuer HiFi-Komplize – wieder zu Gast, um über die großen Fragen der High-End-Welt zu philosophieren. So sehr wir uns bei der Technik einig sind, gibt es musikalisch eine kleine „Jazz-Barriere“: Rainer ergreift bei Saxofon und Besen-Schlagzeug eher die Flucht. Wenn er da ist, lassen wir die Anlagen also meist mit feinstem Deep House oder Dub Techno warmspielen – da finden wir uns beide wieder. Ich bin da ja ohnehin schmerzfrei und höre eigentlich alles außer Hard Rock und Metal. Aber kaum ist der Rainer von dannen gezogen und die Tür ins Schloss gefallen, bricht hier meine ganz private „Blue Hour“ an. Ich sitze nun alleine in der herrlichen Stille, bereit, den Gang zu wechseln. Vor mir stehen meine treuen Dynaudio Confidence 5, die eben noch schieben durften und jetzt am McIntosh MA9000 und Auralic Aries G2.1 ihre feingeistige Seite zeigen sollen. Ich tippe auf dem iPad, starte Apple Music und genieße endlich die Ruhe mit diesem wunderbaren Album, über das ich euch berichten muss: „Summerwind“.
ACT Music in Bestform
Ihr solltet mittlerweile wissen, dass ich komplett auf ACT Music abfahre. Was aber Lars Danielsson in Verbindung mit Paolo Fresu hier abgeliefert haben, verschlägt mir selbst die Sprache. So viel Raum, Tiefe und Durchzeichnung ist selten auf einem Album zu finden.
Es handelt sich um ein reines Duo-Album aus dem Jahr 2018. Da es kein Schlagzeug und kein Klavier gibt, hören sich die beiden gegenseitig extrem genau zu. Jeder Ton „atmet“. Lars Danielsson, der schwedische Meister am Bass und Cello, trifft hier auf den Italiener Paolo Fresu an Trompete und Flügelhorn. Fresus Sound wird oft mit Miles Davis oder Chet Baker verglichen – sehr weich, oft mit Dämpfer, unglaublich luftig und mit dieser mediterranen Wärme, die einfach unter die Haut geht. Danielsson hingegen „singt“ förmlich auf seinem Instrument; es geht hier nie um Technikgeprotze, sondern immer um die perfekte Melodie.
Der Technik-Check: Warum das so unfassbar klingt
Jetzt wird es kurz technisch, denn dieser Sound kommt nicht von ungefähr. Aufgenommen wurde dieses Juwel im legendären Nilento Studio in Göteborg (Schweden) von Lars Nilsson.
Und falls ihr euch fragt, wie man diese gespenstische Ortung hinbekommt: Lars Nilsson ist bekennender „Genelec-Jünger“. Er mischt im Nilento Studio über die koaxialen Monitore der „The Ones“-Serie (Genelec 8341A). Das Zauberwort heißt hier Punktschallquelle. Da Hoch- und Mitteltöner auf einer Achse liegen, gibt es keine Phasenverschiebungen. Das erklärt, warum die Phantomschallquelle zwischen meinen Dynaudios so stabil steht wie ein Fels in der Brandung. Man kann fast mit dem Finger auf die Instrumente zeigen. Wenn eure heimische Anlage dazu fähig ist, bekommt ihr Musik geboten, die euch Liebe, Glück, Freude und Leidenschaft spüren lässt. Es ist tatsächlich eine große Prise Sommerwind.
Mein Fazit: Wenn Stille hörbar wird
Als der letzte Ton von „De la solitude mesurée“ im Raum verhallte, saß ich noch einige Minuten regungslos vor den Dynaudios. Oft sucht man direkt den nächsten Track, das nächste Genre. Aber „Summerwind“ fordert diese Nachdenklichkeit geradezu ein.
Dieses Album ist der ultimative Beweis dafür, dass im High-End-Bereich „weniger“ oft „mehr“ ist. Lars Danielsson und Paolo Fresu verzichten auf alles Unnötige. Kein Schlagzeug, das den Takt vorgibt, kein Piano, das den Frequenzkeller zukleistert. Stattdessen gibt es Raum. Viel Raum. Die beiden Meister vertrauen einander so blind, dass sie Pausen nicht als Leere, sondern als Gestaltungsmittel nutzen. Die nordische Melancholie des Basses und die mediterrane, sonnendurchflutete Wärme der Trompete verschmelzen zu einer Einheit, die völlig ohne Kitsch auskommt, aber tief berührt.
Klanglich bewegen wir uns hier im absoluten Olymp. Lars Nilsson hat im Nilento Studio nicht einfach nur zwei Musiker aufgenommen; er hat ihre Aura eingefangen. Die Produktion ist von einer solchen Transparenz und Dynamik, dass sie jede Schwäche in der Wiedergabekette gnadenlos aufdeckt – aber eine stimmige Kette (wie meine McIntosh/Dynaudio-Kombi) zum Singen bringt. Die Phantomschallquellen stehen wie gemeißelt im Raum, das Ausschwingen der Saiten, das Anblasen des Mundstücks, das Atmen der Musiker – alles ist da. Es ist diese Art von Aufnahme, bei der die Lautsprecher physisch aus dem Raum zu verschwinden scheinen und nur noch die reine Musik übrig bleibt.
Für mich ist „Summerwind“ mehr als nur eine Jazz-Platte. Es ist eine audiophile Seelenmassage. In einer Welt, die immer lauter und hektischer wird, ist dieses Album ein Anker. Es zwingt einen förmlich zur Entschleunigung. Wenn der Rainer das nächste Mal zur Tür hinaus ist und ich wieder von Deep House auf „Deep Soul“ umschalten will, wird dieses Album ganz oben auf der Playlist stehen. Eine uneingeschränkte Empfehlung für alle, die hören wollen, wozu ihre Anlage imstande ist, wenn man ihr (und sich selbst) einfach mal Luft zum Atmen lässt.
Die Tracklist – Ein Spaziergang durch den Sommerwind
- Autumn Leaves (03:54) Der wohl bekannteste Jazz-Standard überhaupt, aber so habt ihr ihn selten gehört. Reduziert auf das absolute Minimum. Danielsson legt das Fundament, Fresus Trompete haucht das Thema fast nur. Ein Einstieg zum Niederknien.
- Saluto Dardamente (02:53) Ein lyrischer Gruß, der Fresus sardische Wurzeln aufblitzen lässt. Hier zeigt sich die unglaubliche Räumlichkeit der Aufnahme. Man hört fast, wie sich der Schall im Studio ausbreitet.
- Le Matin (03:21) „Der Morgen“. Ein sanftes Erwachen. Danielssons Bassspiel ist hier unglaublich singend, fast wie eine menschliche Stimme. Sehr hell und optimistisch.
- Stilla Storm (02:55) Ein „stiller Sturm“. Nordische Melancholie trifft auf mediterrane Wärme. Hier merkt man, wie perfekt die beiden harmonieren – keiner drängt sich auf, pure Synergie.
- Jag lyfter ögat mot himmelen (04:05) Eine Bearbeitung eines schwedischen Kirchenliedes. Feierlich, getragen und mit einer Tiefe im Bass, die die Dynaudios richtig schön atmen lässt.
- Un Vestido Y Un Amor (03:53) Für mich eines der Highlights. Eine wunderschöne Ballade (Original von Fito Páez). Fresu spielt hier so zart, dass man Angst hat, die Musik könnte zerbrechen, wenn man zu laut atmet.
- Drexciya (01:48) Ein kurzes, fast schwebendes Zwischenspiel. Sehr sphärisch und ein perfekter Test für die Feinauflösung eurer Hochtöner.
- Dardusó (03:57) Ein etwas bewegteres Stück, bei dem das Zusammenspiel fast tänzerisch wirkt. Hier zeigen beide, dass sie auch ohne Schlagzeug einen wunderbaren „Flow“ erzeugen können.
- Stanna Tid (03:02) Der Titel bedeutet „Bleib stehen, Zeit“. Und genau das passiert beim Hören. Eine wunderbare Ruheoase, in der Danielssons Cello-Spiel direkt ins Herz trifft.
- Sleep Safe and Warm (04:24) Das berühmte Schlaflied aus „Rosemary’s Baby“. Beklemmend schön und tröstend zugleich. Ein absoluter Anspieltipp für Gänsehaut-Momente.
- April in Dardegna (03:40) Eine Wortspiel-Hommage an Fresus Heimat Sardinien. Die Trompete klingt hier besonders sonnig und warm, fast schon golden.
- Amigos (02:49) Ein musikalisches Gespräch unter Freunden. Verspielt, leichtfüßig und mit perfekter Ortung der beiden Instrumente im Stereopanorama.
- Wachet auf, ruft uns die Stimme (03:06) Bach im Jazz-Gewand. Danielsson greift zum Bogen (Arco) und das Bass-Spiel klingt wie aus einer Kathedrale. Ergreifend und voller Würde.
- Dardodentro (02:53) Wieder so ein Fresu-Titel. Es wirkt etwas introspektiver, fast wie ein innerer Monolog der Trompete, sanft untermalt vom Bass.
- De la solitude mesurée (02:34) Der finale Abschied. „Von der gemessenen Einsamkeit“. Das Album entlässt einen ganz sanft, fast flüsternd, zurück in die Stille des Hörraums. Ein perfekter Ausklang.
aktives-hoeren
Audiokarma
diy-hifi-forum
Facebook Profil Mackern
Hifi-Forum
Nubert Forum
Old Fidelity