Class D versus Class A/B. Ist Class wirklich steril?

Class D versus Class A/B. Ist Class wirklich steril?

Schluss mit dem Schubladendenken: Warum Class D nicht gleich „Digital-Schrott“ ist

Seien wir mal ehrlich: Wenn am Stammtisch der „Goldohren“ das Wort „Class D“ fällt, verziehen sich die Gesichter schneller als bei einer Rückkopplung im Hochtöner.

Ja, ich verstehe das. Viele High-End-User – so auch viele Bekannte von mir – können und wollen nichts mit Class D anfangen. Die grundlegende Aussage schallt immer im selben Tenor: „Klingt steril“, „klingt harsch“, „klingt einfach nicht analog genug“. Es ist das alte Lied vom kalten Digitalen gegen die warme analoge Seele.

Aber Moment mal. Halten wir kurz inne.

Es gibt verdammt gute und es gibt grottenschlechte Class A/B Verstärker. Niemand würde auf die Idee kommen, einen soliden Einsteiger-Verstärker aus den 90ern (sagen wir mal einen Yamaha AX 396) zu hören, ihn als „ganz okay“ einzustufen und diese Erfahrung dann auf eine 20.000-Euro-Vor-End-Kombi von Accuphase zu münzen, oder? Man käme nie auf den Gedanken, alle Class A/B-Amps über einen Kamm zu scheren, nur weil einer mal flach klang.

Das geht natürlich nicht. Aber warum zur Hölle macht man genau das bei Class D?

Warum wird hier nicht unterschieden? Warum gilt hier oft: „Kennst du einen, kennst du alle“? Denn die Wahrheit ist: Auch hier gibt es massive Unterschiede zwischen billigem Schrott und absolutem High-End-Engineering. Lasst uns mal unter die Haube schauen und klären, warum Class D nicht gleich Class D ist und was die Spreu vom Weizen trennt.


Kurz-Recap: Was passiert da eigentlich?

Für alle, die im Physikunterricht Kreide holen waren: Class D ist kein „Digitalverstärker“ im Sinne von Nullen und Einsen, sondern ein Schaltverstärker. Stellt euch vor, ihr wollt das Licht dimmen.

  • Class A/B (Linear): Ihr baut einen Widerstand ein. Das Licht wird dunkler, der Widerstand heiß. Energieverschwendung.
  • Class D (Schaltend): Ihr habt einen Schalter und betätigt ihn tausende Male pro Sekunde. An/Aus/An/Aus. Je länger er „An“ ist, desto heller wirkt das Licht. Das passiert so schnell, dass das Auge (oder beim Audio: das Ohr) nur den Durchschnitt wahrnimmt.

Das Ergebnis: Massive Effizienz, kaum Wärme, volle Power. Aber genau hier fangen die Probleme – und die Qualitätsunterschiede – an.

Warum es „Müll“ gibt und warum es „Götterfunken“ gibt

Warum klingt der 100-Euro-Class-D-Amp vom Online-Discounter harsch und höhenlastig, während moderne Implementierungen selbst eingefleischte Röhren-Fans ins Schwitzen bringen? Hier sind die technischen Knackpunkte:

1. Das Problem mit dem Ausgangsfilter (Die Lastabhängigkeit)

Das ist der Klassiker bei billigen Designs. Da der Verstärker ein Rechtecksignal (An/Aus) produziert, muss am Ende ein Filter (Spule und Kondensator) sitzen, der daraus wieder eine runde Sinuswelle macht.
Das Problem: Bei einfachen Schaltungen interagiert dieser Filter mit der Impedanz eures Lautsprechers. Wenn die Impedanz eures Lautsprechers in den Höhen ansteigt, hebt der Billig-Amp plötzlich die Höhen an. Er klingt „harsch“.
Die Lösung: High-End-Designs messen das Signal hinter dem Filter und korrigieren Fehler sofort (Post-Filter Feedback). Ihnen ist völlig egal, welchen Lautsprecher ihr dranhängt – der Frequenzgang bleibt ein Lineal.

2. Die Schaltfrequenz und das EMI-Chaos

Ein Class-D-Amp ist im Grunde ein starker Radiosender, der im Megahertz-Bereich schaltet. Wenn der Entwickler beim Platinen-Layout geschlampt hat, streuen diese Hochfrequenzstörungen überall ein. Das Ergebnis ist Rauschen und ein unruhiges Klangbild. High-End-Module sind Meisterwerke der Abschirmung und des Layouts.

3. Die Totzeit (Dead Time)

Damit die Transistoren (die Schalter) keinen Kurzschluss verursachen, gibt es eine winzige Pause beim Umschalten. Ist diese Pause zu lang, entstehen Verzerrungen (Klirr), die rau klingen. Moderne Bauteile (wie GaN-FETs) erlauben Schaltzeiten im Nanosekundenbereich – Klirr ist da kein Thema mehr.

Das ultimative Beispiel: Wenn Ingenieure zaubern (Jeff Rowland)

Wollt ihr den endgültigen Beweis, dass das Gerede vom pauschal „kalten Class-D-Klang“ Unsinn ist? Dann werft einen Blick in die Champions League, zum Beispiel auf die Jeff Rowland Design Group.

Wenn solche Kaliber Class D anfassen, dann ist das kein „Chip von der Stange“. Jeff Rowland weiß, dass die extrem schnellen Schaltvorgänge und die gigantische Bandbreite, die für eine perfekte Wiedergabe nötig sind, eine technische Herkulesaufgabe darstellen.

  • Der Aufwand: Um die komplexen Hochfrequenz-Probleme und thermische Stabilität in den Griff zu bekommen, nutzen sie unter anderem sündhaft teure Keramikplatinen (Rogers™ ceramic circuit boards) für ihre Schaltungen. Das ist Materialschlacht im Dienste des Klangs.
  • Das Ergebnis: Durch dieses kompromisslose Engineering erreichen sie eine Wiedergabequalität, die nichts mehr mit „digitaler Härte“ zu tun hat. Das Klangbild ist fluid, organisch, extrem hochauflösend und hat diesen gewissen „Schmelz“.
  • Die Realität: Ein solcher Class-D-Amp klingt am Ende verdammt nochmal fast genauso wie ein reiner Class-A-Verstärker – nur ohne, dass ihr im Winter die Heizung aufdrehen müsst.

Fazit: Hört auf mit den Vorurteilen – und fangt an, mit den Ohren zu hören

Lassen wir die Kirche mal im Dorf. Ich verstehe die Romantik. Wirklich. Aber wir müssen aufhören, Nostalgie mit technischer Überlegenheit zu verwechseln.

Wenn mir heute jemand sagt, Class D klinge „steril“, dann muss ich mittlerweile provokant zurückfragen: „Meinst du mit ’steril‘ vielleicht einfach nur ‚ehrlich‘?“
Denn was viele High-End-User jahrelang als „musikalischen Schmelz“ oder „Wärme“ gefeiert haben, waren oft nichts anderes als harmonische Verzerrungen (Klirr) und eine lastabhängige Frequenzgang-Verbiegung. Das kann man mögen – keine Frage! Aber es ist nicht unbedingt das, was auf der Aufnahme drauf ist.

Der entscheidende Punkt ist der: Einen 30-Euro-Platinenverstärker vom Grabbeltisch mit einem Accuphase oder McIntosh zu vergleichen, ist nicht nur unfair – es ist Blödsinn. Das ist so, als würde man sagen: „Alle Benziner sind langsam“, nur weil man einmal einen Fiat Panda gefahren ist, aber noch nie in einem Porsche 911 saß. Genauso falsch ist es, den eingangs erwähnten, soliden aber unspektakulären Yamaha AX 396 als Referenz für die gesamte analoge Welt zu nehmen.

Also, liebe Community: Lasst den Yamaha AX 396 in Ehren, aber hört auf, Class D pauschal zu verteufeln, nur weil die Technik vor 15 Jahren noch in den Kinderschuhen steckte. Es kommt heute nicht mehr auf die „Klasse“ (A, B oder D) an, sondern einzig und allein auf das Engineering. Wer seine Hausaufgaben bei der Schaltung, dem Filter und vor allem dem Netzteil gemacht hat, baut einen Weltklasse-Verstärker. Egal, ob der am Ende warm wird oder nicht.

Die Zukunft ist nicht analog oder digital. Die Zukunft ist gutes Design. Hört es euch unvoreingenommen an. Ihr könntet überrascht sein, was ihr bisher verpasst habt.

Over and Out.


5 Technische Tipps für den Kauf

Worauf muss man achten, um keinen Schrott zu kaufen? Hier sind 5 Punkte, die technisch belegbar sind:

1. Die Lastunabhängigkeit (Post-Filter Feedback)

Achtet darauf, dass der Verstärker einen geraden Frequenzgang hat, egal welche Ohm-Zahl der Lautsprecher hat. Billige Chips verbiegen hier den Klang.

2. Die „1-kHz-Lüge“ (THD+N vs. Frequenz)

Verlasst euch nicht auf den Klirrfaktor bei 1 kHz. Schaut euch Diagramme an, wie der Verstärker bei 10 kHz oder 20 kHz performt. Schlechte Class-D-Amps verzerren im Hochton massiv.

  • Nachweis: Bruno Putzeys (Hypex) erklärt in seinem Whitepaper den Anstieg von Verzerrungen bei hohen Frequenzen und wie man ihn verhindert. [Quelle: Hypex Whitepaper]

3. Die Eingangsstufe (Buffer Stage)

Ein gutes Class-D-Modul braucht einen exzellenten „Buffer“ davor. Hersteller wie Nord Acoustics bieten hier sogar austauschbare Op-Amps an, um den Klang zu tunen.

4. Das geregelte Netzteil (SMPS)

Watt ist nicht gleich Watt. Ein geregeltes Schaltnetzteil hält die Spannung auch bei massiven Bass-Impulsen stabil. Billige Netzteile brechen ein, der Sound wird flach.

  • Info: Datenblätter von Hypex Audio-Netzteilen zeigen stabile Spannungskurven unter Last. [Quelle: Hypex SMPS]

5. Abschirmung und Material (Jeff Rowland Beispiel)

Hochfrequenz-Schalten erfordert extremes Layout-Know-How. Jeff Rowland nutzt Keramik-Platinen aus der Militärtechnik, um Störungen zu eliminieren.