Mari Boine & Bugge Wesseltoft – Amame
Wenn die Stille spricht: Mari Boine & Bugge Wesseltoft – „Amame“
- Label: By Norse Music
- Format: CD, Album, Stereo, Vinyl, Stream
- Land: Norway
- Veröffentlicht: 29. Sept. 2023
- Genre: Jazz, Folk, World, Country
- Stil: Contemporary Jazz, Sámi Music, Ambient
- Amazon Link: Mari Boine & Bugge Wesseltoft
Meine Stammleser wissen es längst: Ich bin ein absoluter Fan von Bugge Wesseltoft. Sein Verständnis für Musik, für den Raum zwischen den Tönen und seine Art, Jazz neu zu denken, schätze ich zutiefst. Es war also fast unvermeidlich, dass ich beim nächtlichen Durchstöbern von Apple Music über eines seiner Projekt stolperte. Das Cover schlicht, der Titel „Amame“ (2023). Ich drückte auf Play – und ab ging das wunderbare Gefühl zu verstehen obwohl man die Sprache nicht kennt.
Schon der erste Titel, „Amame jávkat“, nahm mich gedanklich sanft, aber bestimmt mit auf eine Reise, der ich mich nicht entziehen konnte. Und das, obwohl ich kein einziges Wort von dem verstehe, was Frau Boine da singt. Ein Gefühl wie Urvertrauen. Es ist schwer zu beschreiben, aber Mari Boines Stimme löst auf diesem Album etwas Archaisches aus. Egal welche Geschichte sie erzählt, ich nehme ihr jedes Wort ab. Ich glaube ihr jedes Bild, das sie mit Klängen malt. Es ist, als würde ich mich erinnern, wieder ein Baby zu sein: Meine Mutter beugt sich über mich und singt mir ein Lied zum Einschlafen. Es ist pures Urvertrauen. Ich fühle dieses Album so stark und so intensiv, dass Sprache irrelevant wird. Die Emotion ist die Sprache.
Ein Wort an die Hörer (und die Technik). Wenn ich dann so dasitze und mir solche Szenen durchhöre, frage ich mich immer aufs Neue, wie ich euch dieses Hörerlebnis näherbringen kann. Und hier kommt der Punkt, der mich oft frustriert: Menschen, die keinen Wert auf hochwertige HiFi-Geräte legen, werden den Zauber solcher Alben niemals vollständig verstehen. Leider!
Sei’s drum. Ich betreibe diese massive Arbeit hier aus Leidenschaft, um euch solche versteckten Schätze zu zeigen. Aber mir ist bewusst, dass die meisten gar nicht so tief in diese Klangwelten eintauchen können, weil schlicht und ergreifend das Equipment fehlt, um die Nuancen von Wesseltofts Tastenanschlag oder das Atmen in Boines Stimme abzubilden. Wer das hier genießen will braucht leider ein Mindestmaß an Gerätschaften um all das einzufangen, was uns Boine und Wesseltoft mitteilen wollen
Wer ist diese Frau? Der Werdegang der Mari Boine Um die Wucht dieses Albums zu verstehen, muss man wissen, wer Mari Boine ist. Sie ist nicht einfach nur eine Sängerin aus Norwegen; sie ist die Stimme der Samen. Ihr Weg war steinig. Aufgewachsen in einer Zeit, in der die samische Kultur und Sprache (und der traditionelle Gesang „Joik“) als „teuflisch“ oder minderwertig unterdrückt wurden, musste sie ihre Identität erst erkämpfen. Ihr Durchbruch kam Ende der 80er mit dem Album „Gula Gula“, das sogar Peter Gabriel auf den Plan rief. Aus der wütenden Aktivistin, die Jazz und Rock nutzte, um gegen die Unterdrückung zu schreien, ist über die Jahrzehnte eine Grande Dame der World Music geworden. Ihre Wut ist gewichen – einer tiefen, fast spirituellen Weisheit.
Boine & Bugge: Eine Wiedervereinigung Dass diese beiden zusammenfinden, ist ein Glücksfall, aber kein neuer. Schon 2002 arbeiteten sie für das Album „Eight Seasons“ zusammen. Damals war der Sound geprägt von Bugges „New Jazz“-Ansatz – elektronischer, rhythmischer, moderner. „Amame“ ist anders. Es ist das Werk zweier Künstler, die niemandem mehr etwas beweisen müssen. Bugge Wesseltoft verzichtet fast vollständig auf elektronische Spielereien. Er reduziert sein Spiel auf das Wesentliche, lässt dem Piano unglaublich viel Luft. Er dient der Stimme, statt sie zu übertönen.
Kritik: Die Kritiker feiern das Album zu Recht als Meisterwerk der Entschleunigung. Es ist kein Album für den Hintergrund. Es ist ein Dialog zwischen zwei Seelen. Mari Boine klingt verletzlicher und gleichzeitig stärker als je zuvor. Lasst euch darauf ein. Und wenn ihr könnt: Schließt die Augen und lasst die Technik verschwinden, bis nur noch die Musik da ist.
Schlusswort
„Amame“ ist für mich am Ende mehr als nur eine Ansammlung von elf Liedern. Es ist ein sicherer Hafen. Es ist genau dieses Gefühl von Geborgenheit, das ich eingangs beschrieb: wie die Mutter, die am Bett sitzt und die Unruhe der Welt vertreibt. Mari Boine und mein geschätzter Bugge Wesseltoft haben hier ein Werk geschaffen, das keine Sprache braucht, um verstanden zu werden. Es kommuniziert direkt mit der Seele.
Aber ein letzter, ernster Appell an euch: Tut mir und vor allem den Künstlern einen Gefallen. Verschwendet diese Aufnahme nicht nebenbei auf einem Bluetooth-Mono-Speaker in der Küche oder mit den 5-Euro-Kopfhörern, die beim Handy dabei waren. Dieses Album lebt vom Raum, vom feinen Ausklingen der Saiten, vom leisen Atmen direkt vor der Membran. Wer hier am Equipment spart, hört vielleicht die Melodie, aber er beraubt sich selbst der Magie. Legt die Platte / CD auf, setzt euch in den Sweetspot, dreht den Regler ein gutes Stück nach rechts und lasst euch fallen. Ihr werdet es nicht bereuen.
Die Reise im Detail:
1. Amame jávkat (04:52) Der Einstieg. „Damit wir nicht verblassen“. Es beginnt fast aus dem Nichts. Bugge tippt die Tasten nur an, Boines Stimme wirkt suchend, zerbrechlich. Es setzt sofort diese intime Stimmung, von der ich sprach.
2. Alit (04:08) Bedeutet „Blau“. Ein Stück, das wirkt wie eine weite, kalte Landschaft. Sehr viel Hall auf der Stimme, das Piano lässt die Töne extrem lange ausklingen. Es fließt sehr ruhig, fast wie Wasser.
3. Don it galgga (03:51) „Du sollst nicht“. Ein sehr ernster, getragener Song. Mari Boine singt hier tiefer, fast beschwörend. Keine Rhythmuswechsel, sondern pure Intensität durch Wiederholung und die Tiefe ihrer Stimme.
4. Elle (04:39) Das Herzstück. Ursprünglich die Titelmelodie zum Film „Die Kautokeino-Rebellion“. Hier ist es komplett nackt. Es geht um den Schmerz einer Mutter, die ins Gefängnis muss und ihr Kind zurücklässt. Man hört jeden Atmer, jeden emotionalen Bruch in der Stimme. Audiophil wahrscheinlich der stärkste Moment der Platte.
5. Mu oabbá (03:43) „Meine Schwester“. Ein sehr warmes Stück. Es wirkt etwas heller als der Rest, fast tröstend. Bugges Piano umspielt die Gesangslinie sehr sanft, als würden sich zwei Menschen unterhalten.
6. Mihá (04:34) Ein Song voller Stolz, aber ganz leise vorgetragen. Die Stimme steht hier sehr weit im Vordergrund, das Piano hält sich fast komplett zurück und liefert nur den Teppich.
7. Jearrat máttaráhkus (04:45) „Frag die Stammmütter“. Ein meditatives Stück. Es hat diesen wiegenden Charakter, der dich an das Einschlafen erinnerte. Es wiederholt sich wie ein Mantra, sehr beruhigend und hypnotisch.
8. Lihkahusat (04:04) Hier hatte ich vorhin fälschlicherweise von „Bewegung“ gesprochen. Auch das hier bleibt dem ruhigen Stil treu, wirkt aber musikalisch etwas dunkler, melancholischer in der Akkordwahl. Es ist ein Innehalten.
9. Gula Gula (04:19) Hier liegt der größte Unterschied zum Original von 1989. Damals war es ein rhythmischer Welthit. Hier auf „Amame“ ist es komplett entschleunigt. Mari Boine singt es nicht mehr wütend wie früher, sondern mit einer großen, altersweisen Ruhe. Ein Gänsehaut-Moment, wenn man das Original kennt und jetzt diese Stille hört.
10. Mun lean čuoigi (04:12) „Ich bin der Skifahrer“. Der Ausklang. Ein ganz friedliches Ende. Das Piano wird immer leiser, die Stimme verabschiedet sich fast flüsternd. Das Album hört nicht einfach auf, es verweht.
11. Elle (Radio Edit) (03:18) (Nur die gekürzte Version, technisch identisch, aber weniger Raum zum Atmen als bei Track 4).
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