Jazz At Berlin Philharmonic X – East-West
Jazz At Berlin Philharmonic X – East-West NES, Black String, Majid Bekkas, Nguyên Lê Hörbericht:
Overall Rating: ★★★★★ (5/5)
- Label: ACT Records – ACT 9913-2
- Series: Jazz At Berlin Philharmonic – X / Live Album
- Format: CD, Live Album, Stereo, Streaming
- Country: Germany
- Released: 29. Mai 2020
- Genre: Jazz, Folk, World, & Country
- Style: Contemporary, Free Improvisation
- Amazon Link: Jazz At Berlin Philharmonic
„Jazz at Berlin Philharmonic X – East-West“ ist ein Album, das als Teil der gleichnamigen Konzertreihe im Rahmen der ACT Music-Veröffentlichungen herausgegeben wurde. Diese Konzertreihe, kuratiert von Siggi Loch, dem Gründer des Labels ACT, hat sich in der Berliner Philharmonie als Plattform für besondere musikalische Begegnungen etabliert. Die Alben zeichnen sich durch die Verschmelzung von Jazz mit Einflüssen aus unterschiedlichsten musikalischen und kulturellen Traditionen aus. Das Projekt der zehnten Ausgabe widmet sich dem Thema Ost-West-Begegnung, wobei das verbindende Element der Jazz als globale Ausdrucksform ist.
Hintergrund und Konzeption der „East-West“-Edition:
Die „East-West“-Edition verfolgt das Ziel, Musikerinnen aus unterschiedlichen Regionen und Kulturen zusammenzubringen, um ein musikalisches Gespräch zu initiieren, das den Austausch zwischen östlichen und westlichen Traditionen fördert. Die Idee dahinter ist, dass Jazz eine ideale Brücke bildet, um musikalische Differenzen zu überwinden und neue, kreative Verbindungen zu schaffen. Die teilnehmenden Künstlerinnen repräsentieren die Vielfalt musikalischer Traditionen aus Algerien, Korea, Marokko und Vietnam sowie europäische Jazz-Einflüsse.
In der Berliner Philharmonie aufgenommen, einem der bedeutendsten Konzerthäuser der Welt, bietet diese Zusammenarbeit nicht nur die klangliche Qualität einer erstklassigen Akustik, sondern auch den Raum für einen respektvollen, musikalischen Dialog. Es geht um das Zusammenspiel von alten, oft Jahrhunderte alten Musiktraditionen mit der improvisatorischen Freiheit und den modernen Strukturen des Jazz.
Die Künstler und ihre Rollen:
NES:
Die Band NES um die charismatische algerische Sängerin und Cellistin Nesrine Belmokh, den französischen Cellisten Matthieu Saglio und den spanischen Perkussionisten David Gadea bringt eine besondere Mischung aus nordafrikanischen, mediterranen und klassischen Einflüssen mit. Nesrine Belmokh’s Stimme ist geprägt von einer tiefen emotionalen Ausdruckskraft, die sowohl westliche klassische Elemente als auch arabische Musiktraditionen miteinander verwebt. Ihr Ansatz ist poetisch und erzählt Geschichten, die von ihren kulturellen Wurzeln und persönlichen Erfahrungen inspiriert sind. Die rhythmische Vielfalt und die warme Klangpalette von Saglio und Gadea ergänzen diese Erzählungen mit einem filigranen, zugleich energetischen Sound.
Black String:
Die koreanische Band Black String unter der Leitung von Yoon Jeong Heo ist bekannt für ihre Neuinterpretation traditioneller koreanischer Musik durch die Einbindung von Jazz und improvisierten Elementen. Ihre Musik basiert auf der Verwendung von traditionellen Instrumenten wie dem Komungo (eine Art Zither), der Daegeum (eine Bambusflöte) und der Geomungo (einem weiteren Saiteninstrument), die in neue musikalische Kontexte integriert werden. In der Kombination mit modernen Jazz-Elementen entstehen Klangbilder, die sowohl melancholisch als auch energetisch sein können, oft getragen von langen Melodiebögen und einem dynamischen Wechselspiel zwischen den Instrumenten. Yoon Jeong Heo fungiert als musikalische Brückenbauerin, die ihre tief in der koreanischen Musiktradition verwurzelte Expertise in das westliche Jazz-Vokabular einbettet.
Majid Bekkas:
Der marokkanische Musiker Majid Bekkas steht für die Verknüpfung von nordafrikanischen Rhythmen und Melodien mit dem Blues und Jazz. Er ist ein Meister der Guembri, einem dreisaitigen Basslauteninstrument, das in der traditionellen Gnawa-Musik verwendet wird. Diese Musikrichtung ist tief in der spirituellen und rituellen Kultur Marokkos verwurzelt und besitzt eine tranceartige Qualität. Majid Bekkas bringt eine tief verwurzelte Spiritualität in das musikalische Geschehen ein, wobei er die hypnotischen Rhythmen und repetitiven Strukturen der Gnawa-Musik mit der improvisatorischen Freiheit des Jazz verbindet. Seine Musik ist ein Streifzug durch die Wüstenlandschaften Marokkos, durchzogen von mystischen Klängen, die das Publikum in eine andere Welt entführen.
Nguyên Lê:
Der vietnamesisch-französische Gitarrist Nguyên Lê ist einer der Pioniere der Fusion aus Jazz und traditioneller vietnamesischer Musik. Er hat sich einen Namen gemacht durch seine Fähigkeit, diese unterschiedlichen musikalischen Sphären miteinander zu verbinden, ohne dass dabei die Authentizität der traditionellen Musik verloren geht. Sein Gitarrenspiel zeichnet sich durch eine Virtuosität und eine Klangfarbenvielfalt aus, die sowohl moderne Jazz-Einflüsse als auch Rock-Elemente integriert. Nguyên Lê bringt in diesem Projekt eine avantgardistische Herangehensweise mit, die komplexe Harmonien und unvorhersehbare Klangverläufe schafft. Seine Musik ist eine ständige Suche nach neuen Klängen und einer Harmonie zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Musikalische Interaktion und Höhepunkte:
In der Begegnung dieser Künstler*innen entsteht ein dynamisches Zusammenspiel, das sowohl harmonische als auch dissonante Momente kennt. Der zentrale Fokus liegt auf der Improvisation und der spontanen Entwicklung von Melodien, die die verschiedenen musikalischen Traditionen respektvoll miteinander verweben. Besonders interessant ist, wie traditionelle Instrumente wie die Guembri oder das Komungo in Dialog mit westlichen Instrumenten wie der E-Gitarre oder dem Cello treten. Dadurch entstehen Momente von überraschender Klangintensität, in denen sich die verschiedenen musikalischen Welten gleichberechtigt begegnen und neue, spannende Klanglandschaften erschaffen.
„Jazz at Berlin Philharmonic X – East-West“ ist ein musikalisches Abenteuer, das die Zuhörerinnen auf eine Reise durch verschiedene Kulturen und ihre Ausdrucksformen mitnimmt. Es ist ein Album, das die Idee der Globalisierung auf eine künstlerische Ebene hebt, indem es zeigt, dass musikalische Traditionen keine festen Grenzen kennen, sondern sich in ständiger Bewegung befinden. Die Musikerinnen nutzen den Jazz als universelles Kommunikationsmittel, um ihre eigene kulturelle Identität zum Ausdruck zu bringen und gleichzeitig die Offenheit für andere musikalische Sprachen zu demonstrieren.
Bedeutung und Rezeption:
Die Aufnahme dieser Begegnung in der Berliner Philharmonie hat nicht nur musikalische, sondern auch symbolische Bedeutung: Die Philharmonie als Ort des klassischen Musikverständnisses wird zur Bühne für interkulturelle Experimente. Das Album hat unter Jazzliebhabern und Kritiker*innen Anerkennung gefunden, insbesondere für die Art und Weise, wie es gelingt, traditionelle Melodien und Rhythmen mit der Improvisationskunst des Jazz zu vereinen.
Das Projekt trägt wesentlich dazu bei, den Horizont des modernen Jazz zu erweitern und bietet gleichzeitig eine Plattform, auf der verschiedene kulturelle Ausdrucksformen auf Augenhöhe miteinander agieren können. Es zeigt, dass der Jazz auch im 21. Jahrhundert eine lebendige, sich ständig weiterentwickelnde Kunstform ist, die in der Lage ist, sich durch den Dialog mit anderen Kulturen immer wieder neu zu erfinden.