
Zwischen Feenlicht und Tiefbass: Seelie von CLANN in der audiophilen Betrachtung
CLANN – Seelie (2017): Wenn Musik nicht nur gehört, sondern gefühlt wird
Label & Veröffentlichung
- Label: Aquarius Records – Q2-7640
- Format: CD, Album
- Land: Kanada
- Veröffentlicht: 1. Dezember 2017
- Genre: Electronic
- Stilrichtung: Downtempo, Ambient, Cinematic Pop
- Amazon Werbung: CLANN
Es gibt Alben, die man hört – und dann gibt es solche, die man erlebt. Seelie von CLANN gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2017, aber noch immer so zeitlos, dass sie in audiophilen Kreisen regelmäßig für Gänsehautmomente sorgt – vorausgesetzt, die heimische Anlage ist der Aufgabe gewachsen.
Wer oder was ist CLANN?
Hinter CLANN steckt kein klassisches Musikprojekt, sondern ein multimediales Gesamtkunstwerk. Der kreative Kopf ist Sebastian „Seb“ McKinnon, ein kanadischer Filmemacher, Musiker und visueller Künstler aus Montreal, der gemeinsam mit seinem Bruder Ben das ambitionierte KIN Fables-Universum erschuf. Filme, Graphic Novels, Fotografie und eben Musik – alles greift bei CLANN ineinander wie Zahnräder eines größeren erzählerischen Kosmos.
Musikalisch bewegt sich Seelie im Spannungsfeld zwischen Ambient, Cinematic Downtempo und moderner Neofolk-Ästhetik. Die Tracks sind ätherisch, atmosphärisch dicht, oft mit verhallten, fast geisterhaft eingesetzten Vocals versehen – eher wie ein Instrument behandelt, als klassisch geführt. Klangfarben erinnern an die mystischen Nebelwälder eines Fantasyfilms. Der Einfluss keltischer Mythen, nordischer Symbolik und indigener Klangwelten ist unverkennbar.
Mitwirkende wie die französische Violinistin Chloé Picard oder die fragile Stimme von Charlotte Oleena (u. a. bekannt von Sea Oleena) tragen zur sphärischen Tiefe der Musik entscheidend bei. Die Produktion ist opulent, aber nicht überladen – jeder Hallraum, jedes Streicherfragment scheint mit Bedacht gesetzt.
Audiophiles Album für feingeistige Anlagen
Ich bin seit einiger Zeit Teil einer sehr harmonischen und menschlich beeindruckenden High-End-HiFi-WhatsApp-Gruppe. Diese Gemeinschaft lebt von gegenseitigem Respekt, tiefem musikalischem Wissen und echtem Austausch – fernab von Neid oder Besserwisserei. Inmitten dieser audiophilen Runde entstehen regelmäßig musikalische Entdeckungen, die einem im besten Sinne die Sprache verschlagen.
An dieser Stelle muss ich Marius erwähnen. Ein feines Gehör wie eine Katze, kombiniert mit einem musikalischen Geschmack, der ebenso raffiniert wie mutig ist. Seine Empfehlungen sind nie beliebig – sie stellen die Anlage auf die Probe und machen im besten Fall ihre volle Klasse hör- und spürbar. So auch bei Seelie.
Wer daheim Lautsprecher stehen hat, die Musik bloß brav wiedergeben, aber die Atmosphäre nicht einfangen können, wird den Zauber dieses Albums nicht erschließen. Seelie lebt von Räumen, vom Atem zwischen den Tönen, von der Dynamik in den Zwischenwelten.
Der Titel „I Hold You“ wurde uns in der Gruppe von Marius vorgestellt – ein Stück, das wie gemacht ist für nächtliches Alleinsein und emotionale Tiefgänge. Kurz darauf meldete sich ein weiterer großartiger Mensch aus der Gruppe: Uli. Er hörte den Titel über seine Magico V2, unterstützt von zwei REL-Subwoofern, und schrieb:
„Sitze in einer Tropfsteinhöhle und schaue dem Weltuntergang zu!“
Gänsehaut.
Musik, die Räume aufreißt
Und genau das ist es. Wenn Musik diesen Effekt hat – wenn sie nicht nur im Ohr, sondern tief im Inneren ankommt –, dann ist es die richtige Musik. Und ja: dann ist es auch die richtige Anlage. Es klingt unromantisch, aber leider ist gutes Hören auch eine Frage des Budgets. Nur wer seine Kette fein abgestimmt hat, kann nachvollziehen, welche Klanglandschaften sich mit Seelie eröffnen.
Aber unabhängig davon: Musik kennt kein Ablaufdatum. Und Seelie erst recht nicht. Es ist ein Album, das man sich immer wieder anhören kann – sei es zur Meditation, zum Abschalten oder einfach als stilles Erlebnis unter Kopfhörern mit geschlossenen Augen.
Fazit: Ein akustisches Märchen zwischen Weltflucht und Offenbarung
CLANNs Seelie ist kein Album, das sich beiläufig konsumieren lässt – es verlangt Hingabe, Achtsamkeit und am besten eine nächtliche Stunde, in der Stille herrscht. Es ist ein Werk, das tief unter die Oberfläche geht und dabei Klang als etwas begreift, das mehr ist als Schwingung: Es wird zur Landschaft, zum Gefühl, zum inneren Bild.
Wer diese Musik hört, merkt schnell, dass sie nicht auf klassische Songstrukturen oder schnelle Hooks aus ist. Seelie ist wie ein langsames Durchschreiten eines Nebelwaldes – man erkennt Umrisse, hört entfernt Stimmen, sieht Lichtreflexe zwischen Bäumen, aber nie ganz klar. Genau das macht den Reiz aus. Es ist Musik für Suchende, nicht für Abhakende.
In audiophiler Hinsicht gehört das Album zu den versteckten Juwelen. Die Produktion ist von solch schwebender Qualität, dass selbst kleinste Details auf einer guten Anlage geradezu greifbar werden: das Nachhallen einer Stimme im Raum, das Knarzen eines Stuhls im Hintergrund, das Atmen zwischen zwei Geigenbögen. Wer so etwas erleben will, braucht nicht nur Technik – er braucht eine intime Beziehung zum Klang.
Und genau hier trennt sich die Spreu vom Weizen: Seelie zeigt gnadenlos auf, was eine Anlage kann – oder eben nicht kann. Es macht Schwächen hörbar, aber auch die Stärken strahlen lassen. Es ist ein Prüfstein für Klangkultur und eine Offenbarung für alle, die Musik nicht als Tapete, sondern als Kunstform begreifen.
Doch unabhängig von technischer Ausstattung bleibt eines zentral: Seelie spricht die Seele an. Es verleiht inneren Zuständen einen Klang. Es erzeugt Bilder, für die es keine Worte gibt. Und es tut etwas, das nur die wenigste Musik schafft: Es erinnert uns daran, wie sehr wir fühlen können, wenn wir bereit sind, wirklich zuzuhören.
Ein Album wie ein Traum, das zwischen Einsamkeit und Geborgenheit pendelt – mystisch, verletzlich, atemberaubend schön. CLANN erschafft mit Seelie einen Ort, an dem Musik mehr ist als Schall. Sie wird zur Erinnerung an etwas, das wir vielleicht nie erlebt haben – aber vermissen.
Track-by-Track: Atmosphärische Seelenreisen
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Caves – 1:28
Ein dunkles Intro, das wie der erste Schritt in eine andere Welt wirkt. Mystisch, reduziert, unheilvoll schön. -
Once Again – 5:58
Ein Stück über Erinnerung, Reue und Hoffnung. Subtile Beats, geflüsterte Melodien – sehr intim. -
The Faerie Court (Under Sun) – 4:14
Lichtdurchflutet und zart. Märchenhafte Harmonien zeichnen die Szene eines Feenhofs im Tageslicht. -
Dark Angel – 3:52
Zwischen Hoffnung und Untergang. Sanfte Stimme, sphärische Klänge, eine fragile Balance aus Licht und Schatten. -
Hosts Of The Air – 5:11
Erhaben und etwas unheimlich. Elektronische Streicher treffen auf Hallräume – ein Song wie ein fliegender Traum. -
Closer – 4:18
Warm, verletzlich und emotional aufgeladen. Der Wunsch nach Nähe wird hier in pure Musik übersetzt. -
The Stolen Child (Soundtrack) – 5:24
Basierend auf Yeats’ gleichnamigem Gedicht. Ein cineastischer Soundtrack für die innere Flucht in irische Mythen. -
The Faerie Court (Under Moon) – 6:52
Der nächtliche Spiegel von Track 3. Düster, geheimnisvoll, langsam wachsend wie ein keltischer Zauber. -
Unseelie – 7:25
Rituelle Atmosphäre. Tiefe Bässe und düstere Harmonien – hier regieren die dunklen Feenwesen des alten Volksglaubens. -
I Hold You – 9:10
Das Herzstück des Albums. Langsam aufbauend, emotional überwältigend. Ein Manifest der Hingabe. Wer das nicht fühlt, hört bloß Musik – aber erlebt sie nicht.
Credits
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Executive Producer: Francis Cucuzzella
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Mastering: Charles Boudreau
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Music Producer & Projektleitung (KIN Fables): Seb McKinnon
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Technik & Projektunterstützung (Council):
– Marc Luciano
– Simon Lacelle -
Violine & Cello: Chloé Picard
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Gesang: Charlotte Oleena (bekannt durch ihr Projekt Sea Oleena)