CD Cover mit einem Mann der einen Lautsprecher anschaut

Voigt Pipe – Das Lautsprechergehäuse, das Zeit überdauerte

Paul G. A. H. Voigt – Der Visionär, der dem Klang eine Röhre schenkte

Wenn man heute durch die HiFi-Foren surft, sieht man viele Bauvorschläge: Bassreflex hier, Transmissionline dort, und irgendwo schleicht sich auch immer wieder die Voigt Pipe ein – meist flankiert von begeisterten Kommentaren über ihre „Natürlichkeit“, „Ehrlichkeit“ oder ihre „unverschämte Effizienz“. Wer sich dann fragt, wer hinter dieser urtümlich wirkenden Lautsprecherkonstruktion steckt, landet früher oder später bei einem Namen, der fast schon in Vergessenheit geraten ist: Paul G. A. H. Voigt.

Geboren 1901 in London, als Sohn deutscher Eltern, lebte Voigt in einer Zeit, in der es in der Audiotechnik noch keine Regeln gab – weil es noch kaum etwas gab. Alles war Pionierarbeit. Und genau in dieser Welt blühte Voigt auf: Nach seinem Studium der Elektrotechnik am Dulwich College und dem University College London (Abschluss 1922), stieg er bei Edison Bell ein – einem frühen Giganten in der Audiotechnik.

Mikrofone, Tonabnehmer – und der erste echte Lautsprecher?

Voigt war kein Bastler. Er war ein Entwickler. Ein Systemdenker. Schon bei Edison Bell entwarf er nicht einfach Bauteile, sondern durchdachte Systeme. Seine Tonabnehmer waren präziser, seine Verstärker leiser, seine Mikrofone sauberer als die Konkurrenz. Und doch: All das war nur der Weg zu seinem wahren Meisterstück – dem Lautsprecher, der Musik wirklich transportieren konnte.

1933 machte sich Voigt selbstständig, gründete Voigt Patents Ltd. in Sydenham (London), und begann mit der Entwicklung von Lautsprechern, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollten. In dieser Zeit traf er O. P. Lowther, mit dem er später Lowther‑Voigt Radio gründete – eine bis heute hoch angesehene Adresse für High-Efficiency-Lautsprechertechnik.

Die Voigt Pipe – Genialität in Holzform

1934 kam das, was heute in fast jeder Liste audiophiler Lautsprecherbauformen auftaucht: Die Voigt Pipe – eine TQWT, eine „Tapered Quarter-Wave Tube“, wie sie später genannt wurde. Für Voigt war es mehr als ein Gehäuse: Es war ein akustisches System, das Lautsprecherwiedergabe neu dachte. Die Idee? Simpel. Die Umsetzung? Genial.

Ein langes, sich nach unten verjüngendes Rohr, geöffnet am unteren Ende, mit einem Breitbandtreiber im oberen Drittel. Keine Weiche. Keine Schnörkel. Die Schallenergie aus dem rückwärtigen Teil des Chassis wandert in die Röhre, wo sie über ein Viertel der Wellenlänge kontrolliert „atmen“ kann – ohne Dröhnen, ohne stehende Wellen, mit einem Bass, der für die Gehäusegröße schlicht unglaublich wirkt. Selbst moderne High-End-Konstruktionen mit aktiver DSP-Entzerrung tun sich schwer, den natürlichen Druckverlauf einer gut abgestimmten Voigt Pipe zu replizieren.

Die Voigt Pipe ist kein Kompromiss zwischen Transmissionline und Horn – sie ist eine Verbindung. Die Abstimmung folgt rein physikalischen Prinzipien, und mit der richtigen Dämmung im oberen Bereich des Gehäuses wird der Sound beinahe magisch. Ein sauberer 6,5-Zoll-Breitbänder reicht plötzlich bis 40 Hz hinunter – und das ohne das blähende Bassreflex-Bauchgefühl.

Die perfekte Partnerin: die Röhre

Die Voigt Pipe liebt Trioden. Ob 300B, 2A3 oder EL84 – diese Gehäuseform spielt mit Röhren, als wären sie füreinander gemacht. Der Grund: Der hohe Wirkungsgrad (teilweise über 94 dB) und die gleichmäßige Impedanz machen es selbst schwachen Verstärkern leicht, mühelos Klangfülle zu erzeugen. Das Ergebnis? Musik, die direkt ins Herz geht – ohne Filter, ohne elektronische Entschlackung. Nur Klang. Und Raum. Und Seele.

Vom Patent zum Mythos

Paul Voigt erhielt 1934 das Patent auf seine „Twin Diaphragm Driver Unit“ – ein ausgeklügelter Breitbänder mit zwei Membranen, die phasenrichtig arbeiten und zusammen ein erstaunlich lineares Klangbild erzeugen. In Verbindung mit der Voigt Pipe entstand ein Lautsprechersystem, das sich weit vor der Zeit bewegte. Heute ist es kaum zu glauben, dass diese Konstruktion aus einer Ära stammt, in der Radio noch das Hauptmedium war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es für Voigt schwieriger. Wegen seiner deutschen Wurzeln verlor er politische Rückendeckung, musste 1950 sein Unternehmen verkaufen und wanderte nach Kanada aus. Dort arbeitete er als Lehrer und Regierungsbeamter – weit weg vom Klang, aber nie ohne ihn. Seine Erfindungen? Die lebten weiter. In kleinen Werkstätten. In Wohnzimmern. In Herzen.

Die Renaissance im DIY-Zeitalter

Heute ist die Voigt Pipe so lebendig wie nie. Ob auf parow.no, in der Röhrenkiste, bei oaudio.de oder in diversen Foren und Discord-Gruppen – überall wird geplant, simuliert, gefaltet, gefeilt. Mit modernen Tools wie Hornresp lassen sich Voigts Prinzipien sogar optimieren, doch das Grundprinzip bleibt: ein einfaches, durchdachtes Rohr für Musikgenuss pur.

Die Bauformen variieren – es gibt gefaltete Versionen, „Backloaded“-Varianten, sogar modulare Pipes mit wechselbaren Dämpfungszonen. Und trotzdem: In jeder Version steckt Voigts Geist. Seine Idee. Seine Philosophie.

Die Bedeutung von Voigt und seine Pipe

Aspekt Beschreibung
Erfinder Paul G. A. H. Voigt (1901–1981), englischer Audiopionier mit deutscher Abstammung
Jahr der Entwicklung 1934
Geometrie Verjüngtes Viertelwellen-Rohr (TQWT), kombiniert Transmissionline, Horn und Bassreflex
Treiber Ideal für Breitband (Full-Range); in Kombination mit Twindiaphragm-Treiber
Klang & Performance Sehr hoher Wirkungsgrad, tiefer kontrollierter Bass, geringe Verzerrungen
Einsatzbereich DIY‑Lautsprecherbau, High‑End/Vintage-Audiophilie
Bauvarianten heute Gefaltete Pipes, Computermodellierung, Kits (z. B. Fostex, Castle, Blue Planet)

Wer war Paul G. A. H. Voigt?

  • Paul Gustavus Adolphus Helmuth Voigt, geboren am 9. Dezember 1901 in London, gestorben am 9. Februar 1981 in Brighton, Ontario, Kanada

  • Sohn deutscher Eltern, studierte Elektrotechnik am Dulwich College und University College London, Abschluss BSc 1922

  • Arbeitete bei Edison Bell (E. Bell Works) in Peckham/London – entwickelte dort Mikrofone, Verstärker, Tonabnehmer und Lautsprecher 1933 gründete er Voigt Patents Ltd. in Sydenham/London. 1934 traf er O. P. Lowther, später Fusion zum Unternehmen Lowther‑Voigt Radio (1936)

  • Entwickelte auch das Tractrix-Horn für Kino-Lautsprecher und war Pionier im Bereich von Lautsprechern mit Permanentmagneten nach dem Zweiten Weltkrieg (ab 1936)

  • Wegen seiner deutschen Abstammung und politischen Schwierigkeiten musste er 1950 sein Unternehmen verkaufen und emigrierte nach Kanada, wo er später als Lehrer und Regierungsmitarbeiter tätig war

  • Insgesamt erhielt er über 30 Patente im Bereich Lautsprechermedien, Mikrofone und Audiotechnik

Fazit: Paul Voigt war nicht seiner Zeit voraus – er war über ihr

Während andere noch an der Papiermembran herumtüftelten, baute Voigt ein Lautsprechersystem, das auch heute noch gegen teure Fertiglautsprecher mehr als nur bestehen kann. Wer sich traut, wieder auf das Wesentliche zu hören – auf Stimmen, auf Dynamik, auf Echtheit – der sollte sich einmal mit der Voigt Pipe beschäftigen.

Sie mag alt aussehen. Aber sie klingt wie Zukunft.


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