Kendrick Lamar – Mr. Morale & The Big Steppers
Kendrick Lamar – Mr. Morale & The Big Steppers Hörbericht:
- Label: pgLang – 00602445886906 / Top Dawg Entertainment
Aftermath Entertainment / Interscope Records - Format: CD, Album, Stereo, Streaming, Vinyl
- Country: Europe
- Released: 3. Juni 2022
- Genre: Hip Hop, Jazz, Funk / Soul
- Style: Conscious, Trap, Jazzy Hip-Hop, Neo Soul, Contemporary R&B, Experimental
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Kendrick Lamar – Ein visionärer Künstler des Hip-Hop
Egal, wie man zu Hip-Hop oder Rap steht, es gibt Künstler, die vor Kreativität strotzen und die Grenzen ihres Genres immer wieder neu definieren. Kendrick Lamar gehört zweifellos zu dieser seltenen Spezies. Für viele – auch für mich – ist er der wichtigste Rapper unserer Zeit. Seine Texte sind nicht nur tiefgründig, sondern tragen Botschaften, die den Zeitgeist reflektieren und kritische Fragen an unsere Gesellschaft stellen. Wenn man sich die Mühe macht, die komplexen Zusammenhänge seiner Werke zu durchblicken, ist man erstaunt, wie viel Information Kendrick in so kurzer Zeit vermitteln kann.
Als jemand, der aus einer Zeit stammt, in der Hip-Hop in den 80er-Jahren auch in Deutschland seine Anfänge nahm, sehe ich Kendrick als einen der wichtigsten Botschafter dieser Kunstform. Hip-Hop war für mich stets ein riesiger Begleiter – und das wird er auch bleiben.
Mr. Morale & The Big Steppers – Ein Meisterwerk voller Kontraste
Kendrick Lamars Album Mr. Morale & The Big Steppers (veröffentlicht 2022) ist mehr als nur eine Sammlung von Songs. Es ist ein Konzeptalbum, das persönliche und gesellschaftliche Themen miteinander verbindet und dabei stilistisch und inhaltlich neue Wege geht. Die Doppel-LP ist in zwei Hälften unterteilt, die jeweils eine andere Perspektive und Energie mitbringen, was das Album zu einer intensiven Reise durch Kendricks Gedankenwelt macht.
Themen und Botschaften
Das Album behandelt eine Vielzahl von Themen, darunter Traumata, psychische Gesundheit, gesellschaftliche Zwänge, die Rolle von Familie und die Herausforderungen des Lebens als öffentliche Person. Kendrick erzählt von seiner eigenen Entwicklung, von Zweifeln und Konflikten, und verbindet diese mit einer größeren, universellen Perspektive. Besonders bemerkenswert ist seine Fähigkeit, Systemkritik in eine narrative Form zu bringen, die weder belehrend noch plakativ wirkt, sondern den Hörer herausfordert, selbst zu reflektieren.
Im Vergleich dazu sucht man solche tiefgreifende Systemkritik im deutschsprachigen Raum oft vergeblich. Hier dominiert leider zu häufig eine „Gucci, Muschi, ich leg deine Mutter“-Mentalität, die mehr auf Provokation und Oberflächlichkeit abzielt. Kendrick hingegen hebt den Hip-Hop auf ein intellektuelles und emotionales Niveau, das seinesgleichen sucht.
Klanglandschaft und Produktion
Musikalisch ist Mr. Morale & The Big Steppers ein Meisterwerk. Kendrick arbeitet mit Produzenten wie Pharrell Williams, The Alchemist und seinem langjährigen Partner Sounwave zusammen, die dem Album eine brillante klangliche Tiefe verleihen. Die Tracks wechseln zwischen introspektiven, minimalistischen Arrangements und opulenten, orchestralen Passagen. Jedes Detail ist präzise ausgearbeitet, und die Produktion ist – wie bei Kendrick üblich – superb abgewischt.
Der Einsatz von Spoken-Word-Elementen, Chören und unkonventionellen Samples verleiht dem Album einen fast cineastischen Charakter. Besonders hervorzuheben sind Tracks wie Mother I Sober, in dem Kendrick intime Themen anspricht, und United in Grief, das das Album kraftvoll eröffnet und den Hörer direkt in Kendricks Gedankenwelt zieht.
Ein persönliches und gesellschaftliches Statement
Mr. Morale & The Big Steppers ist nicht nur ein Album, sondern ein Spiegel unserer Zeit. Kendrick konfrontiert seine Hörer mit schwierigen Wahrheiten und zeigt gleichzeitig, dass Veränderung und Heilung möglich sind – auf persönlicher wie gesellschaftlicher Ebene. Er reflektiert Themen wie die intergenerationelle Weitergabe von Traumata und die Zerbrechlichkeit von Beziehungen, ohne dabei den Blick für das große Ganze zu verlieren.
Fazit: Kendrick Lamar – Ein Künstler mit Tiefgang
Kendrick Lamar ist ein Künstler, der in einer eigenen Liga spielt. Seine Werke sind nicht nur musikalisch brillant, sondern auch intellektuell und emotional tiefgehend. Mit Mr. Morale & The Big Steppers hat er erneut bewiesen, dass er einer der größten Geschichtenerzähler des modernen Hip-Hop ist. Wer sich die Zeit nimmt, seine Texte und Musik wirklich zu durchdringen, wird reich belohnt.
Abschließend bleibt nur zu sagen: Hip-Hop mag sich seit den 80ern stark verändert haben, aber Künstler wie Kendrick Lamar halten die ursprüngliche Kraft dieser Kunstform am Leben – und bringen sie auf ein neues Level.
Track-für-Track-Analyse: Mr. Morale & The Big Steppers
1. United in Grief
Das Album beginnt kraftvoll mit einem orchestralen und klanglich vielschichtigen Stück. Kendrick reflektiert seine persönliche Reise, die durch Erfolg, Verlust und die Suche nach Heilung geprägt ist. Der Titel gibt den Ton für das gesamte Album vor: Es geht um kollektives und persönliches Leid sowie den Umgang damit.
2. N95
Der Titel spielt auf die N95-Schutzmaske an und thematisiert die Masken – im wörtlichen und metaphorischen Sinne –, die Menschen in der Gesellschaft tragen. Kendrick kritisiert Materialismus und Heuchelei und fordert dazu auf, sich mit der eigenen wahren Identität auseinanderzusetzen. Der Beat ist dynamisch und aggressiv, passend zur Botschaft.
3. Worldwide Steppers
Ein introspektiver Track, der Kendricks Selbstreflexion und Schuldgefühle beleuchtet. Die minimalistische Produktion lenkt den Fokus auf die Lyrics, die eine direkte und fast schon ungemütliche Ehrlichkeit vermitteln.
4. Die Hard (feat. Blxst & Amanda Reifer)
Ein melodischer und gefühlvoller Song, in dem Kendrick über Liebe und Verletzlichkeit spricht. Die eingängige Hook von Blxst und Amanda Reifer gibt dem Track eine leichtere Note, ohne die Tiefe der Botschaft zu verwässern.
5. Father Time (feat. Sampha)
Dieser Track ist eine intensive Auseinandersetzung mit Kendricks Vater und den Auswirkungen von toxischer Männlichkeit. Samphas gefühlvoller Gesang ergänzt Kendricks rauen, ehrlichen Text perfekt. Es ist ein emotionaler Höhepunkt des Albums.
6. Rich (Interlude)
Ein Spoken-Word-Interlude, das von Kodak Black vorgetragen wird. Hier zeigt Kendrick, wie sich verschiedene Perspektiven und Lebensrealitäten überschneiden können. Es ist ein Experiment, das den Hörer herausfordert, über Vorurteile nachzudenken.
7. Rich Spirit
Ein ruhigerer Track mit einem minimalistischen Beat, in dem Kendrick seine innere Balance und den Konflikt zwischen äußerem Reichtum und innerem Frieden thematisiert.
8. We Cry Together (feat. Taylour Paige)
Ein schockierender und intensiver Dialog zwischen Kendrick und Taylour Paige, der eine toxische Beziehung darstellt. Die rohe Emotionalität und der direkte Text machen diesen Track zu einem der eindringlichsten des Albums.
9. Purple Hearts (feat. Summer Walker & Ghostface Killah)
Ein Song über die Komplexität von Liebe und Vergebung. Summer Walker und Ghostface Killah fügen dem Track weitere Dimensionen hinzu, während Kendrick über die Herausforderungen spricht, die mit Intimität einhergehen.
Zweite Hälfte: Mr. Morale
10. Count Me Out
Ein introspektiver Track, in dem Kendrick seine Kämpfe mit Selbstzweifeln und dem Wunsch nach Anerkennung offenlegt. Die Produktion ist lebhaft und unterstützt die emotionale Intensität des Songs.
11. Crown
Ein minimalistischer, fast hymnischer Track mit einer klavierbasierten Instrumentierung. Kendrick reflektiert über die Last des Ruhms und die Unmöglichkeit, es allen recht zu machen.
12. Silent Hill (feat. Kodak Black)
Ein atmosphärischer Song, der Kendricks Fähigkeit zeigt, seine innere Ruhe zu bewahren, auch wenn die äußere Welt chaotisch ist. Kodak Blacks Beitrag fügt eine zusätzliche Ebene hinzu, die den Kontrast zwischen den Künstlern hervorhebt.
13. Savior (Interlude)
Ein weiteres Spoken-Word-Interlude, das von Baby Keem vorgetragen wird. Es dient als Übergang und betont die Themen Identität und Selbstreflexion.
14. Savior (feat. Baby Keem & Sam Dew)
Kendrick stellt klar, dass er kein „Retter“ ist – weder für die Gesellschaft noch für seine Fans. Der Track ist eine Kritik an die Erwartungshaltung, die oft an Künstler gestellt wird, und ein Aufruf zur Eigenverantwortung.
15. Auntie Diaries
Ein bahnbrechender und mutiger Song, in dem Kendrick das Thema Transgender-Identität anspricht. Er erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen und zeigt dabei, wie wichtig Akzeptanz und Verständnis sind. Der Track ist inhaltlich revolutionär für den Hip-Hop.
16. Mr. Morale (feat. Tanna Leone)
Ein energetischer Track, der die innere Zerrissenheit zwischen persönlichem Wachstum und den Erwartungen der Außenwelt thematisiert. Die Produktion ist vielschichtig und treibend.
17. Mother I Sober (feat. Beth Gibbons von Portishead)
Der emotional intensivste Song des Albums. Kendrick spricht über Missbrauch, Trauma und die Reise zur Heilung. Beth Gibbons‘ zerbrechlicher Gesang verstärkt die Tiefe und Verletzlichkeit des Tracks.
18. Mirror
Das Album endet mit einem selbstreflexiven Track, in dem Kendrick sich dazu entschließt, seinen eigenen Weg zu gehen, auch wenn dies bedeutet, andere zu enttäuschen. Der Refrain „I choose me, I’m sorry“ fasst die Essenz des Albums zusammen: Selbstakzeptanz und die Priorisierung des eigenen Wohlbefindens.