
Wenn die Messung schweigt aber das Ohr Unterschiede hört – Mythen und Fakten aus der HiFi-Welt
Warum sich gleiche Messwerte unterschiedlich anhören können
Ein Klassiker der HiFi-Diskussion
In der Welt des High-End-HiFi taucht immer wieder dieselbe Frage auf: Wie kann es sein, dass sich zwei Geräte, Kabel oder Bauteile mit nahezu identischen technischen Messwerten im Klang dennoch unterscheiden? Ist das reine Einbildung? Ein Effekt von Marketing und Preispsychologie? Oder steckt doch mehr dahinter?
Messtechnik: Was wir messen können – und was nicht
Dank moderner Messtechnik lassen sich heute praktisch alle elektrischen Eigenschaften von Geräten, Kabeln und Bauteilen exakt erfassen. Frequenzgänge, Klirrfaktoren, Rauschabstände, Impedanzen, Kapazitäten und Induktivitäten werden mit höchster Präzision dokumentiert. Besonders bei Kabeln werden Parameter wie Skin-Effekt oder Kapazität pro Meter genau bestimmt.
Doch trotz dieser exakten Messungen bleiben Unterschiede hörbar – zumindest berichten dies viele Hörer. Woran liegt das?
In den meisten Fällen erfassen Standardmessungen lediglich einen Teil dessen, was später beim Musikhören als Klangqualität empfunden wird. Reale Musiksignale sind komplex, dynamisch und impulsiv. Hier spielen Faktoren wie Transientenverhalten, Gruppenlaufzeiten, Phasenverschiebungen und Impulsantworten eine Rolle. Besonders bei Bauteilen wie Kondensatoren treten Unterschiede auf, die in Laborwerten kaum sichtbar sind, aber dennoch den Klangcharakter beeinflussen können. Dielektrische Verluste, mechanische Resonanzen und Absorptionseffekte der verwendeten Materialien sind hier entscheidend.
Wissenschaftliche Ansätze: Kabel und Zeitverhalten
Ein interessanter Ansatz kommt von Prof. Milind Kunchur von der University of South Carolina. In seinen Studien zeigte er, dass selbst bei Kabeln Unterschiede im Zeitverhalten im Mikrosekundenbereich auftreten können. Solche zeitlichen Verschiebungen könnten theoretisch Impulse beeinflussen, was bei extrem hochwertigen Anlagen und sensiblen Hörern möglicherweise wahrnehmbar ist. Ob diese Effekte tatsächlich innerhalb der Grenzen unseres Gehörs relevant sind, bleibt jedoch umstritten.
Blindtests: Wenn Theorie und Praxis aufeinander treffen
Blindtests mit wenig Unterschieden
Mehrere Blindtests deuten darauf hin, dass die meisten technischen Unterschiede sich im Hörtest relativieren. Der bekannte „Coat-Hanger-Test“ von Audioholics zeigte, dass selbst banale Drahtmaterialien klanglich kaum von hochwertigen Lautsprecherkabeln unterscheidbar waren. Ähnlich verliefen Tests bei HDMI- oder Cinch-Verbindungen. Selbst erfahrene Hörer konnten unter Blindbedingungen kaum Unterschiede feststellen, solange die technischen Mindeststandards eingehalten wurden.
Blindtests, die Unterschiede aufzeigen
Es existieren jedoch auch gegenteilige Ergebnisse. Eine Studie der Audio Engineering Society (AES) unter der Leitung von Laferrière zeigte, dass einige Hörer Unterschiede zwischen Interconnects auch unter Blindtestbedingungen zuverlässig erkennen konnten. Eine große Testreihe auf Reddit, bei der symmetrische und unsymmetrische Verbindungen unter hochwertigen Kopfhörern wie dem Sennheiser HD800s verglichen wurden, zeigte ebenfalls klare Präferenzen für symmetrische Lösungen – vor allem bei längeren Kabelwegen und empfindlichen Quellen.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass unter bestimmten Bedingungen durchaus Unterschiede hörbar sein können, auch wenn sie nur bei hochsensiblen Setups oder sehr geübten Hörern auffallen.
Die Rolle der Hörpsychologie
Neben der reinen Technik spielt die menschliche Wahrnehmung eine entscheidende Rolle. Unser Gehirn verarbeitet akustische Informationen nie völlig neutral. Optik, Haptik, Preis und Erwartungshaltung beeinflussen das Klangerlebnis stark. Ein edel verarbeitetes, teures Kabel erzeugt bei vielen Hörern automatisch eine positive Erwartung, die den Klang subjektiv verbessert. Dieser Placebo-Effekt ist vielfach dokumentiert.
Zudem sind viele Blindtests methodisch nicht perfekt. Kurze Hörzeiten, schnelle Umschaltungen und Konzentrationsbelastungen erschweren die Wahrnehmung feiner Unterschiede. Im Alltag jedoch hören wir Musik oft über längere Zeiträume und bilden unseren Klangeindruck eher langfristig. Solche feinen Nuancen können in Langzeithörtests durchaus ins Gewicht fallen, bleiben aber im schnellen ABX-Verfahren häufig unentdeckt.
Fazit: Technische Wahrheit trifft auf subjektive Wahrnehmung
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass sich die Wahrheit irgendwo zwischen Technik und Empfindung bewegt. Messwerte sind ein unverzichtbares Werkzeug, doch sie zeigen nicht das komplette Bild. Es existieren reale technische Unterschiede, die je nach Setup und Hörvermögen unterschiedlich stark wahrnehmbar sind. Gleichzeitig prägen Erwartungshaltung und psychologische Effekte unsere Wahrnehmung mehr, als wir oft glauben möchten.
Was letztlich zählt, ist der persönliche Höreindruck. Wer Klangunterschiede wahrnimmt und daran Freude hat, für den sind sie real. Und genau diese Mischung aus Physik, Technik und Emotion macht den Reiz des High-End-HiFi-Hobbys aus – auch nach Jahrzehnten.
Quellen:
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M. Kunchur, Audibility of Cable Effects in High-Fidelity Systems, University of South Carolina
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AES E-Library, Perceptibility of Differences Between Audio Interconnects, Laferrière et al.
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Audioholics, Coat-Hanger Speaker Cable Test
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Wired Magazine, HDMI Cable Testing
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Reddit Audiophile Blindtest Balanced vs Unbalanced
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HomeCinema-fr Blindtests & Diskussionen
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