Trentemøller Obverse
Trentemøller – Obverse Hörbericht: Ein düsteres Meisterwerk für die dunkle Jahreszeit
- Label: In My Room
- Format: CD, Album, Stereo, Vinyl, Streaming
- Country: Europa
- Released: 27. September 2019
- Genre: Electronic
- Style: Dark Ambient, Ambient, Electro, Experimental, IDM
- Werbung Amazon Link: Trentemøller
Anders Trentemøller: Ein visionärer Künstler ohne Scheuklappen
Anders Trentemøller, geboren 1974 in Vordingborg, Dänemark, ist weit mehr als nur ein Knöpfchendreher. Er ist ein gefeierter Musiker, Produzent und Multiinstrumentalist, der den Begriff „Genre“ eher als unverbindliche Empfehlung betrachtet. Bekannt wurde er durch seine außergewöhnliche Verschmelzung von elektronischer Musik mit Indie-, Shoegaze- und Darkwave-Elementen. Seine Karriere begann in den frühen 2000er-Jahren, als er mit minimalistischen Techno-Tracks wie „Moan“ und „Take Me Into Your Skin“ Aufmerksamkeit erregte – Platten, die damals schon zeigten, dass hier jemand am Werk ist, der Klangräume versteht.
Seitdem hat er sich kontinuierlich weiterentwickelt und ein breites musikalisches Spektrum erkundet, das experimentelle Arrangements und emotionale Tiefe vereint. Er ist einer der wenigen, die den Spagat zwischen Club-Tauglichkeit und Kopfhörer-Intimität nicht nur versuchen, sondern perfektionieren.
Das Konzept hinter „Obverse“: Kompromisslosigkeit als Prinzip
„Obverse“, Trentemøllers fünftes Studioalbum, wurde am 27. September 2019 veröffentlicht. Das Album markiert eine radikale Abkehr von seinen bisherigen Arbeiten und ist ein Statement gegen den Zwang der Live-Umsetzung. Es wurde von Beginn an als reines Studioalbum konzipiert – ohne die Absicht, es jemals live aufzuführen. Dies bot ihm die Möglichkeit, ohne Einschränkungen zu arbeiten und neue Wege zu gehen. Keine Rücksicht auf „Wie spiele ich das auf der Bühne?“, sondern voller Fokus auf „Wie klingt das perfekt auf der Aufnahme?“.
Trentemøller erklärte in einem Interview, dass „Obverse“ stark von Dualitäten geprägt ist. Dunkelheit und Licht, digitale und analoge Klänge sowie organische und mechanische Elemente stehen im Mittelpunkt der Kompositionen. Dieser Ansatz führte zu einer Sammlung atmosphärischer Tracks, die sowohl introspektiv als auch innovativ sind. Für den Hörer bedeutet das: Es gibt keine Kompromisse bei der Schichtung der Sounds. Hier wurde geprobt, geschichtet und poliert, bis die Atmosphäre so dicht war, dass man sie schneiden konnte.
Die Tracks und Kollaborationen: Stimmen aus dem Nebel
Das Album besteht aus zehn Tracks, die eine emotionale und klangliche Reise bieten. Besonders bemerkenswert sind die Gastauftritte verschiedener Künstlerinnen, die nicht einfach nur „features“ sind, sondern wie Instrumente in den Klangteppich eingewoben wurden:
- „Cold Comfort“: Dieser Track eröffnet das Album und präsentiert Rachel Goswell von den Shoegaze-Legenden Slowdive. Ihr verträumter Gesang ergänzt die dunklen, sphärischen Klangwelten perfekt und setzt sofort den Ton für das Album.
- „In The Garden“: Mit Lina Tullgren entsteht hier ein Stück, das sich durch sanfte Melodien und melancholische Untertöne auszeichnet. Es wirkt fast zerbrechlich, getragen von einer bedrohlichen Ruhe.
- „Try A Little“: Jennylee von Warpaint bringt in diesem Song eine intensive emotionale Dimension ein, die dem Album einen Hauch von Post-Punk-Ästhetik verleiht.
Die gesamte Trackliste zeigt Trentemøllers Fähigkeit, unterschiedliche Stimmen und Einflüsse harmonisch in seinen charakteristischen Sound einzubinden, ohne dass es wie ein Sampler wirkt. Es ist alles aus einem Guss.
Ein Spiel mit Kontrasten und audiophilen Texturen
Ein zentrales Thema von „Obverse“ ist die Arbeit mit Gegensätzen. Trentemøller wollte mit diesem Album die kreative Freiheit erkunden, die das Studio bietet. Durch die Entscheidung, das Album nicht live umzusetzen, entfiel die Notwendigkeit, die Musik für eine Bühnenperformance anzupassen. Dies erlaubte es ihm, Klanglandschaften zu schaffen, die sowohl komplex als auch subtil sind.
Klanglich ist das Album ein Fest für jede gute Anlage. Es knistert, es rauscht (an den richtigen Stellen), es atmet. Die Bässe sind tief und kontrolliert, die Höhen niemals scharf, sondern silbrig und atmosphärisch. Wer wissen will, was seine Lautsprecher in Sachen Raumabbildung können, sollte dieses Album auflegen.
Visuelle Gestaltung und Atmosphäre
Die visuelle Gestaltung von „Obverse“ stammt von Jesse Draxler, einem Künstler aus Los Angeles. Seine Arbeit spiegelt die thematische Tiefe des Albums wider und unterstreicht die Kontraste, die Trentemøller musikalisch erkundet. Die düsteren, abstrakten Bilder auf dem Albumcover ergänzen die atmosphärischen Klänge perfekt. Es ist eines dieser Alben, bei denen man das Vinyl-Cover in der Hand halten möchte, während die Nadel durch die Rille gleitet.
Kritische Rezeption und Bedeutung
„Obverse“ wurde von Kritikern und Fans gleichermaßen gelobt. Die introspektiven Tracks und die künstlerische Integrität des Albums heben es deutlich hervor. Viele lobten Trentemøllers Fähigkeit, neue klangliche Territorien zu erforschen, ohne dabei seine charakteristische Handschrift zu verlieren. Das Album ist ein weiteres Beispiel für seine Meisterschaft in der Verbindung von elektronischer und organischer Musik.
Fazit: Ein Schlag ins Gesicht der audiophilen Langeweile
„Obverse“ von Trentemøller ist ein beeindruckendes Album, das die Essenz von atmosphärischer Elektronik auf höchstem Niveau einfängt. Mit seiner Mischung aus Downtempo, IDM und Deep House schafft es der Künstler, eine Klangwelt zu erzeugen, die emotional tiefgründig und räumlich durchdacht ist. Jeder Track ist ein sorgfältig gestaltetes Klangkunstwerk, das zeigt, wie vielschichtig und nuanciert dieses Genre sein kann.
Ich persönlich bin begeistert von dieser Art von Musik, die mit räumlichen, atmosphärischen Gestaltungen experimentiert und tief in die kreative Soundgestaltung eintaucht. Solche Werke dürfen weder unterschätzt noch kleinlich behandelt werden – vor allem nicht von Menschen, die in ihrem musikalischen Spektrum festgefahren sind.
Und jetzt mal Klartext: Es ist erschreckend und teilweise wirklich traurig, wie oft außergewöhnliche Alben wie „Obverse“ von jenen selbsternannten „High-Endern“ belächelt werden, die zum x-ten Mal die gleiche Pink-Floyd-Platte auf den Teller legen, nur um zu prüfen, ob die Triangel links hinten jetzt noch drei Millisekunden länger nachklingt. Leute, wacht auf! Musik ist nicht dazu da, um Kabel zu testen, Musik ist dazu da, um etwas zu fühlen. Wer sich nur im sicheren Hafen der 70er-Jahre-Rock-Klassiker bewegt, verpasst die spannendsten Klangentwicklungen der Gegenwart. Musik sollte immer offen für neue Eindrücke und Experimente sein – gerade Alben wie dieses zeigen, wie facettenreich die Klangwelt jenseits des Mainstream-Genres sein kann. Wer behauptet, elektronische Musik habe keine Seele, hat dieses Album nicht gehört – oder seine Anlage taugt nichts.
Dieses Album ist nicht nur ein Erlebnis für Fans von elektronischer Musik, sondern auch eine Einladung, die kreativen Möglichkeiten moderner Soundlandschaften zu erkunden. Es beweist, dass Genres wie IDM und Downtempo eine unvergleichliche Tiefe und emotionale Wirkung entfalten können.
Quelle: NBHAP Interview mit Trentemøller über „Obverse“
Tracklist und kurze Einschätzung
- Cold Comfort (8:30)
Ein atmosphärischer Opener mit dem verträumten Gesang von Rachel Goswell, der eine melancholische Stimmung erzeugt. Baut sich langsam auf wie ein nordischer Nebel. - Church of Trees (6:38)
Ein instrumentales Stück, das mit minimalistischen Klängen und tiefen Synthesizern eine geheimnisvolle Atmosphäre schafft. Waldspaziergang bei Dämmerung. - In the Garden (4:02)
Ein melodischer Track mit der Stimme von Lina Tullgren, der durch sanfte Melodien und eine introspektive Stimmung besticht. - Foggy Figures (7:23)
Ein düsteres und rhythmisches Stück, das durch seine dichten Klangschichten und treibenden Beats hervorsticht. Hier darf der Subwoofer zeigen, was er kann. - Blue September (5:09)
Ein melancholischer Song mit dem Gesang von Lisbet Fritze, der eine tief emotionale Atmosphäre vermittelt. - Trnt (8:06)
Ein experimentelles Instrumentalstück, das mit komplexen Klanglandschaften und dynamischen Rhythmen beeindruckt. Kopfkino pur. - One Last Kiss to Remember (3:48)
Ein gefühlvoller Track mit Lisbet Fritze, der durch seine eindringliche Melodie und emotionale Tiefe besticht. - Sleeper (4:46)
Ein ruhiges und introspektives Instrumentalstück, das eine träumerische und meditative Stimmung erzeugt. - Try a Little (4:13)
Ein dynamischer Song mit Jennylee von Warpaint, der durch seinen treibenden Rhythmus und eingängige Melodie auffällt. Fast schon pop-tauglich, aber mit Ecken und Kanten. - Giants (5:03)
Ein epischer Abschluss des Albums, der mit kraftvollen Klängen und einer intensiven Atmosphäre beeindruckt. Lässt einen mit dem Wunsch zurück, sofort wieder von vorne anzufangen.